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dem Phänomen, dass bis zum Ersten Weltkrieg die deutschen Kriegsmarinen alles Mögliche leisteten - bis hin zu wichtigen wissenschaftlichen Expeditionen - eines aber nicht: den Krieg. Da aber nach dem zeitgenössischen Selbstverständnis der Marine der Krieg die eigentliche Rechfertigung der eigenen Existenz war, wurden vor 1914 auch die kleinsten kriegerischen Ereignisse zur See grotesk überhöht, sei es 1848 Admiral Brommy´s Geplänkel in der Deutschen Bucht, der „Tag von Eckernförde“ am 5. April 1849, Eduard von Jachmann´s Angriff auf ein dänisches Blockadegeschwader 1864 vor Jasmund, aber eine „richtige“ große Schlacht à la Aboukir oder Trafalgar gab es nie, und als die sparsame preußische Verwaltung sogar den Seekrieg von 1871 nicht als Kriegsdienst anerkennen wollte, erbitterte das alle, die öde Monate hindurch mit den wenigen Schiffen vor Wilhelmshaven erfolglos herumgedümpelt waren, Tirpitz zählte zu ihnen. Das mag ein weiterer Grund dafür gewesen sein, dass die Sehnsucht nach „dem Tag“ - nach der prächtigen großen Schlacht - viele Gemüter in der Hochseeflotte durchzog. Man kann sich vorstellen, was in diesem Zusammenhang Skagerrak 1916 bedeutete: Die Erfüllung jahrzehntelangen Sehnens! Skagerrak war so „schön“, so „erhaben“ und „erhebend“, daß nach geraumer Frist der Wunsch überwältigend wurde, es gleichsam noch einmal zu inszenieren.

Das war der eigentliche Grund für die von den Matrosen des 3. Geschwaders so genannte „Todesfahrt“ der Flotte vom Oktober 1918, die durch Meuterei verhindert wurde und die deutsche Novemberrevolution auslöste. Man erkennt den Zusammenhang: Dem Prinzip Krieg und Gewalt stand das des Friedens und der Gewaltlosigkeit entgegen; dem kriegerischen Ehrgeiz der Seekriegsleitung die Friedenssehnsucht der Matrosen, und der Gerechtigkeit halber muß hinzugefügt werden, daß auch nicht alle Seeoffiziere den „ehrenvollen Untergang“ wollten. Die Vernunft siegte und mit ihr die Matrosen der Hochseeflotte. Die Revolution war ganz anders, als sich das die Führung je gedacht hatte, zur Sache der Marine geworden, jener Marine, wie sie 1848 in der Paulskirche konzipiert worden war. Das Duell zwischen Gewalt und Demokratie wurde 1918 zugunsten der Demokratie entschieden. Genau das sollte Hitler später der Marineführung vorwerfen - und diese schämte sich, anstatt stolz darauf zu sein, dem Volk einen unschätzbaren Dienst erwiesen zu haben. Weimar hat die deutsche Marine erst möglich gemacht. Das gilt auch im umgekehrten Sinn, hätte es ohne das energische Eintreten von Persönlichkeiten wie Ebert, Noske, Geßler doch überhaupt keine Marine mehr gegeben.
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