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schreckungsinstrument gegen England in Trümmern.

Im Machtkampf gesiegt hatte das Parlament, und so ist es zutreffend, wenn die Historiker von der Parlamentarisierung des Deutschen Reiches schon vor dem Ersten Weltkrieg reden. Das wichtigste Instrument in diesem Prozess aber war die Kaiserliche Marine. Die mochte sich unter Tirpitz so antidemokratisch geben, wie sie wollte: Noch immer waren ihre Angehörigen dem bürgerlich-liberalen Geist verpflichtet, nur wenige Adelige empfanden sie als geistige Heimat, noch immer spiegelte sich in der landsmannschaftlichen Zusammensetzung der Flotte der alte Geist der deutschen Einheit, wie er 1848 in der Paulskirche geweht hatte. Das Wort „kaiserlich“ wies unmittelbar auf 1848 zurück. Hätte Friedrich Wilhelm IV. von Preußen seinerzeit die ihm vom Paulskirchenparlament angetragene Kaiserkrone angenommen, wäre die Marine schon damals „kaiserlich“ geworden. Sie war nun, nach 1871, das einzige Machtinstrument des Reiches als Klammer um die 25 Staaten des ehemaligen Deutschen Bundes. Nur die Marine konnte nach außen hin Idee und Wirklichkeit des Reichsganzen vertreten. Und damit auch jenes Prinzip, dem sie ihre Existenz verdankte: das des Reichstages als der demokratischen Vertretung des Volkes.

Jeder Matrose und jeder Offizier, die sich im Auslandeinsatz befanden, waren automatisch „Botschafter in Blau“, und zwar nicht von Preußen, Bayern oder von welchem Ländchen auch immer, sondern vom Deutschen Reich. In den düsteren Jahren nach 1919 wurden die Besuche der jungen Reichsmarine im Ausland von den dort lebenden Deutschen als sichtbares Zeichen des weiter bestehenden Reiches -und nicht etwa der Weimarer Republik betrachtet. Mit all den positiven und negativen politischen Folgen, um die es hier nicht gehen kann.

Nun könnte der Eindruck entstehen, als feiere sich unsere Marine fröhlich selbst als Musterbeispiel einer lebendigen Demokratie. Ja, das tut sie auch, und niemand sollte es ihr verdenken. Aber sie ist inzwischen alt und weise genug geworden, um zu wissen, dass dieser glänzenden Fassade eine düstere Rückseite entspricht, die man nicht nur mit den Schlagwörtern Marine und Nationalsozialismus umschreibt. Das Problem geht tiefer.

Jede Flotte ist nicht nur ein Machtinstrument, sondern eine Ansammlung von Gewalt.
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