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Potentieller und realer Gewalt. Da der Austrag dieser Gewalt zumeist fern vom Land erfolgt, bekommen die Bürger meist nicht richtig mit, wann, wo und wie auf See gestorben wird. Jede Marine wird für den Krieg gebaut. Allein ihre Existenz ist der Beweis dafür, dass die Staaten dem Frieden nicht trauen. Friedensflotten gibt es nicht, nur Kriegsmarinen, mögen sie sich nennen, wie sie wollen, das Wort Krieg ist heute tabuisiert, man spricht lieber von Friedensmissionen, dennoch schwingt es bei allen maritimen Einsätzen und Unternehmungen mit, und zwar im wiedervereinigten Deutschland deutlicher und drastischer als vor 1990.

In der Geschichtsschreibung der vorvergangenen Jahrhundertwende wurde der Zusammenhang zwischen Macht und Marine ganz offen angesprochen. Was Clausewitz für das Heer, war Alfred Thayer Mahan für die Marine gewesen. Kaiser Wilhelm II. ließ das amerikanische Buch ins Deutsche übersetzen, und jeder Seeoffizier war gehalten, es zu lesen und zu beherzigen.

Nicht dass Mahan ein Kriegstreiber gewesen wäre, aber indem er den untrüglichen Beweis dafür führen zu können glaubte, dass alle Weltmächte in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft nur jene wären, die über eine mächtige Flotte verfügten, ihre Macht mit mächtigen Kriegsschiffen in andere Kontinente projizieren könnten, stiftete er gerade die Neulinge, zu denen in erster Linie Deutschland zählte, dazu an, ein maritimes Machtinstrument zu schaffen, das über bloße Küstenverteidigungs-oder Handelsschutzaufgaben weit hinausging und weltweit wirken sollte. Sei es in China, Südamerika, Afrika, in der Südsee. Auf diese Weise wurde die Marine zu jenem Ferment, das zur Kriegsreife von 1914 beitrug. Der deutsch-britische Gegensatz auf dem Feld des Flottenbaues war nur die Spitze eines Eisbergs. Wir wissen heute, dass eine der Hauptursachen des Ersten Weltkriegs im Unvermögen der Staatsmänner lag, den maritimen Ungeist wieder in seine Flasche zurückzubeordern. Auf diese Weise wurde die Marine zur Kriegstreiberin. Gewiss ungewollt und subjektiv unschuldig, aber unvermeidlich tragisch.

Das war keineswegs eine rein theoretische Konstruktion, sondern sie entband die Revolution von 1918. Diese war eine Lehrstunde im Prozess des Mit- und Gegeneinanders von Demokratie und staatlicher Macht. Um sie zu verstehen, muss man wieder ins 19. Jahrhundert zurück und zu
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