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gerin der Bundesflotte empfand. Die preußische
Ostasienexpedition von 1859 bis 1862 eröffnete ein neues maritimes Zeitalter, in
dem nicht zum ersten Mal in der preußisch-deutschen Geschichte - man denke an
die Afrikaunternehmen des Großen Kurfürsten von Brandenburg - aber noch nie so
konsequent eine preußische Flotte als globales und globalisierendes Machtmittel der
deutschen Staaten begriffen und eingesetzt wurde. Indem zahlreiche Bundesstaaten
sich an diesem maritimen Experiment unter preußischer Führung beteiligten,
entwarfen sie bereits eine flüchtige Skizze der kommenden staatlichen Einigung
Deutschlands. Als das Reich tatsächlich gegründet - oder wiederbegründet -wurde,
verwandelte sich die Preußische Marine zum Kern einer Kaiserlichen, zur
Reichssache.
Aber es gab eine schwerwiegende Einschränkung: Die preußische Flotte war
reichsweit gesehen zu klein, die Preußen hatten nur wenige Schiffe, und der
preußische König nicht genug Geld gehabt, um weitere Schiffe kaufen oder bauen zu
können. Das Muster von 1848 stellte sich 30 Jahre später wieder her: Eine Flotte
konnte nur aus Mitteln des Volksvermögens gebaut werden, die Spendenbereitschaft
patriotischer Bürger und Bürgerinnen allein - die „Frauenlob“ war aus Spenden
deutscher Frauen mitgebaut worden - genügte nicht. Das alles bedurfte der
Organisation und Administration. Diese aber konnten nur eine Institution leisten, der
das Volk vertraute: Das deutsche Parlament, und damit begann, wenige Jahre nach
der Reichsgründung von 1871, der zweite Akt im Mit-und Gegeneinander von Flotte
und Parlament.
Die Marine wurde zur eigentlichen Klammer um Reich, Obrigkeit und
Demokratie. Der Reichstag, der die Gelder für den Flottenbau bewilligen musste, war
aus dem demokratisch fortschrittlichsten Wahlsystem seiner Zeit hervorgegangen.
Der Reichsparlamentarismus war der modernste in ganz Europa. Wieder war die
Idee Flotte, zumeist mit dem Namen Tirpitz verbunden, der entscheidende
Katalysator. Die Abneigung, die innere Verachtung, mit der Tirpitz dem Reichstag
begegnete, war doch immer mit dem Bewusstsein gepaart, dass letztlich allein die
Abgeordneten zu entscheiden hatten, ob und wie die Flotte gebaut wurde. Gewiss
versuchte er durch raffinierte Manöver den Einfluss des Parlaments zu verringern,
aber das gelang ihm am Ende nicht, und als die Stunde der Wahrheit schlug,
nämlich im Jahr 1912, stoppte dieser verachtete Reichstag konsequent den Ausbau
der Flotte zugunsten einer Vergrößerung des Heeres. So lag Tirpitz’ Vision von einer
mächtigen deutschen Flotte als Ab-
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