Tigers Einhandsegeltörn des Jahres 2023!

Oder: die ereignisreiche Segeltour des Jahres 2023
Roland Blatt erzählt aus der Plicht




Liebe Freunde,

Mein Einhandsegeltörn war auch dieses Jahr wieder irgendwie speziell, obwohl es diesmal "nur" eine Fahrt war, die mich gerade bis

zur Insel Hiddensee und um sie herum führte. Und, wie gesagt, auch diesmal wieder nicht ohne Zwischenfälle, auf die ich gerne verzichtet hätte. Doch seht selbst:

Schon am 2. Tag wehte es in Kappeln so stark, dass an ein Auslaufen nicht zu denken war. Eineinhalb Segeltage verbrachte

ich deshalb in jenem Städtchen an der Schlei, aber so übel ist es dort ganz bestimmt nicht, dass man darüber die gute Laune verlieren muss. Ich machte das Beste daraus, trieb mich geldausgebend an Land herum, und danach setzte ich meine Fahrt fort. Über Strande, Fehmarn, Kühlungsborn (mit Hafentag), Darßer Ort gelangte ich nach Vitte auf Hiddensee. Natürlich war der Hafen proppenvoll, aber

nach mehreren Stunden, gerade als ich mich von Dalben zu Dalben auf eine Stelle hinarbeitete, an der ein Anlandkommen vielleicht möglich sein könnte, kam ich mit einer Frau ins Gespräch, die meine Situation unbedingt verbessern wollte. Sie machte mich auf einen

"tiefgangbehinderten", aber noch freien Liegeplatz auf der anderen Seite des Steges aufmerksam, wo mein Kielschwertboot sicher gut liegen könne. Ganz gegen die Vorstellung ihres Ehemanns bestand sie darauf, zu mir an Bord zu kommen, um mir dieses Umlegen bei dem Westwind, der inzwischen sehr stark

aufgebrist war, behilflich zu sein. Alles gelang, und mein Boot wurde ohne größere Schwierigkeiten verlegt. Das war mir dann auch eine schöne Flasche Wein wert, besonders für den Herrn Ehemann, der die Aktionen seiner Frau eher mit hinhaltendem Widerstand als mit

tatkräftiger Unterstützung begleitete. "Jetzt geht er mit deiner Frau ab!", so der Kommentar vom befreundeten Skipper des Nachbarboots.

Inzwischen hatte sich die Westlage so verfestigt, dass ich mir einige Tage auf dieser wunderschönen Insel genehmigen konnte. Trotz des Windes herrschte ein Wetter vor, das man am besten wohl mit "Sommerfrische" hätte beschreiben können. Als der Wind etwas abgeflaut hatte, lief ich wieder aus. Stralsund war schon in Sichtweite, aber ich drehte ab, um nach Barhöft, nahe am Fahrwasser und am Eingang zum Barther Bodden gelegen, zu gehen. Die See war ruhig, eigentlich schien alles völlig problemlos, bald würde ich dort sein.

Aber an einer Stelle, die für mich navigatorisch etwas unklar war, geriet ich - völlig überraschend - auf Grund. An und für sich bin ich der Auffassung, dass dies bei einem Kielschwerter wie dem meinen, keine Schwierigkeiten machen dürfte, wieder herunter zu kommen. Doch der weiche Sand hatte das Schwert so sutje hochgeschoben, dass ich die Situation erst erfasste, als als sich der Stummelkiel meines Bootes in den Grund bohrte. Mit der Maschine war überhaupt nichts zu machen, und bei dem Versuch, das Boot, im Wasser stehend, wieder flott zu machen, bemerkte ich erst das ganze Ausmaß der Gegebenheiten: Ich war so etwas von "hoch und trocken", dass ich es kaum fassen konnte, und meine Versuche, von außenbords aus das Boot zu bewegen, waren absolut aussichtslos. Da rührte sich gar nichts! Ich ging dann den Meeresgrund ab, aber überall war es so flach, dass ich es kaum für möglich halten konnte, überhaupt bis hierher gelangt zu sein. Da war nun guter Rat teuer!

Bald kam ein nicht sehr großes Motorboot vorbei, dessen Skipper - im Gegensatz zu seiner Frau - mich wieder ins Tiefe ziehen wollte. Ich bändselte alle Leinen, die ich hatte, zusammen und warf sie ins Wasser, um sie zum Motorboot zu transportieren. Aber soweit kam es gar nicht. Die Schraube, die zu meinem Entsetzen noch immer rückwärts drehte, was sie gerne einmal tut, obwohl sie nach Lage des Schalthebels stillstehen müsste, griff sich die Leine sofort. Es gab einige heftige Schläge, dann stand der Motor!

Auch das noch! Das war jetzt so überflüssig wie ein Kropf! Ich war wütend und konsterniert, soviel Pech auf einmal, das sollte es doch gar nicht geben. Aber, so war es in diesem Moment. Und viel zu ändern gab es auch nicht mehr daran.

Ich sagte, dem Motorbootfahrer ab, dann griff ich mir aus dem Kombüse ein solides Wellenschliffmesser, ging erneut außenbords und fing an, die in der Schraube hängenden Tampen zu kappen. Etwa 10x musste ich tauchen, bis die Schraube frei war. Nicht jedoch die Welle, wo sich Tampenreste so festgezogen hatten, dass ich daran nichts ändern konnte. Und mein Versuch, unter Wasser die Schraube zu drehen, war, war leider erfolglos. Sie klemmte fest und rührte sich um keinen Millimeter!

Als ich meine Lage einigermaßen überdacht hatte, war ich nur noch der Meinung, dass jetzt der Moment gekommen war, die DGzRS zu Hilfe zu rufen. Das hatte ich noch nie in meinem Leben machen müssen, aber jetzt war es so weit. Die Telefon-Nummer hatte ich im Kopf - 124124. Ich wählte sie auf dem Handy an, und in Bremen wurde der Hörer abgenommen. Ich schilderte meine Lage, gab meine exakte Position in der Nähe der Tonne 32 an, und der Mann in Bremen sicherte mir Hilfe zu, die allerdings erst nach einer geraumen Weile eintreffen würde. Immerhin gab er mir noch einige Ratschläge, die mir zwar in diesem Augenblick nicht unbedingt weiterhalfen, aber dann doch bei mir für ein wenig Entspannung sorgten. Ich richtete mich also auf eine gewisse Wartezeit ein, bevor es nun in irgend einer Weise weitergehen würde.

Ich war so beschäftigt, dass ich erst gar nicht bemerkte, dass sich im etwa 80 Meter entfernten Fahrwasser, eine große Stahl-Segelyacht genähert hatte. Als ich hinsah, winkte man dermaßen mit einer Leine, dass mir sofort klar war, was anlag: Man wollte mich "vom Dreck" ziehen! Und obwohl ich bereits mit der DGzRS in Kontakt stand, konnte ich diese Hilfsbereitschaft auf keinen Fall ablehnen. Ich stieg also wieder von Bord, watete so weit es ging, schwamm den Rest des Weges zur Fahrrinne und nahm die angebotene, 100 Meter lange Trosse auf. Damit begab ich mich auf den Rückweg.

Wieder am Boot belegte ich das Trossenende auf der Steuerbord-Bugklampe und stieg über das Heck wieder an Bord. Doch als ich danach nach vorne sah, bemerkte ich, dass die eben hergestellte Verbindung schon wieder gerissen war: Die dicke und sehr steife Trosse war von der Klampe gerutscht, und an Bord des von vielen jungen Leuten besetzten Seglers war man bereits schon wieder dabei, sie aufzunehmen...

Der erste Versuch, eine Schleppverbindung herzustellen, war gescheitert. Aber damit wollte sich der Skipper der "roten Reinke", jenem kampfkräftigen 15 Meter-Segler aus Stahl, offensichtlich überhaupt nicht abfinden. So intensiv, wie er mit dem Ende einer Leine in meine Richtung wedelte, das könnte nur heißen, dass ein 2. Versuch schon in Vorbereitung war. Also stieg ich erneut ins Wasser, das mir in Bootsnähe gerade bis an den Bauch ging. Trotzdem, auch wenn ich nicht davon überzeugt war, dass der Rettungsversuch erfolgreich sein konnte, abschlagen konnte ich ihn keinesfalls und wollte dann auch meinerseits alles geben, um ihn zum Erfolg kommen zu lassen.

Inzwischen war Wind aufgekommen, ein ablandiger Westwind, der zwar nur wenig hohe, aber dafür sehr viele kleine Wellen aufwarf, die mir den ungestörten Blick zum Meeresgrund verwehrten, über den ich jetzt marschierte. Als ich am Fahrwasserrand ankam, war auch gleich der Boden unter den Füßen weg, und ab hier schwamm ich auf den Segler zu, der schon ein wenig abgetrieben war. Ich musste jetzt schon ziemlich nahe heran schwimmen, um die Leine anzunehmen. Diesmal hatte ich das andere Ende, das Ende ohne "Auge", zu fassen. Um dennoch mit beiden Armen für die Schwimmbewegungen und mit voller Kraft gegen Wind und Wellen anschwimmen zu können, nahm ich das Leinenende zwischen die Zähne. Da lag es gut und dennoch hatte ich nun die Arme frei und erreichte bald den Fahrwasserrand, wo die Tiefe von mehr als drei Metern binnen kurzem auf nur noch einen einzigen anstieg.

Diesmal reichte die 100 Meter lange Leine nicht mehr ganz bis zum Bug. Sie dort zu belegen hatte ich auch jetzt nicht mehr vor. Nun nahm ich sie mit an Bord, legte sie um die Steuerbord-Winsch, danach für eine volle Umdrehung auf die Klampe dahinter und hielt den kurzen Rest, der jetzt noch frei war, in der Hand, um zu jeder Zeit reagieren zu können, falls irgendetwas beim Schleppversuch fehlschlagen sollte. Dann gab ich das Zeichen.

Große Hoffnung hatte ich nicht, da glaubte ich mich am Haken eines soliden Rettungskreuzers sicher besser aufgehoben. Doch plötzlich kam die Leine stramm, es ruckelte etliche Male, dann legte sich das Boot auf die Seite. Doch wenn überhaupt diese Aktion erfolgreich sein könnte, dann aber nur so. Das jedenfalls hatte ich bei meinem letzten "Landgang" auf dem Meeresboden festgestellt. Doch zur Sicherheit ich hatte die Leine in der Hand und sah nun, wie sich das Boot immer noch neigte, wie das Seitendeck ruckartig überspült wurde und wie sich das Wasser danach am Süll zur Plicht emporarbeitete. Doch kurz unterhalb der Oberkante trat ein Stillstand ein, bis in die Plicht kam das Wasser also nicht. Somit war eigentlich alles so eingetreten, wie ich es mir vorgestellt hatte: das Boot lag schräg, der Tiefgang war dadurch geringer und das Ruder war frei. Doch ob die Schleppkraft ausreichte, da waren meine Zweifel noch immer vorhanden.

ch hatte ab jetzt nur noch die Klampe im Blick und war doch sehr erstaunt, dass ich die inzwischen sehr stramme Leine immer noch gut halten konnte. Kam da denn genug Zug drauf? Passierte überhaupt etwas? Ging es vorwärts in der Seitwärtsbewegung? Doch durch die eingetretene Wellenbildung war ich nun nicht mehr in der Lage, auf den Meeresgrund zu sehen und dort Bewegung festzustellen. Da einzige, was ich beim kurzen Aufblicken erkennen konnte, waren minimale Veränderungen an Bäumen und anderen Landmarken am nicht sehr weit entfernten Ufer. Und dort sah ich, dass sich meine Position nun doch veränderte. Aber noch konzentrierte ich mich auf die Leine in meiner Hand.

Plötzlich drangen laute Rufe an mein Ohr. Ich schaute hoch, sah den Skipper auf dem Segler winken und hörte ihn rufen: "Du bist frei! Wirf die Leine los!" Da erst wurde mir das bewusst, was ich vor lauter Tunnelblick gar nicht mitbekommen hatte: Ich war frei! Das Boot schwamm wieder!

Fast automatisch warf ich die Leine los, aber noch lief der Motor nicht. Bei meiner letzten Unterwasserkontrolle war es mir noch nicht einmal möglich gewesen, die Schraube zu drehen. Nun aber, als ich den Zündschlüssel rumdrehte, war der Motor sofort "da", und einkuppeln konnte ich auch. Es hat eben doch Vorteile, wenn man 24 Pferdestärken an der Welle hat, die man sonst nie braucht!

Ich zeigte klar, die "Reinke" nahm Fahrt auf und ich rief noch hinterher:" Wo wollt Ihr denn hin?" "Nach Barth!", war die Antwort, und bevor ich mich noch recht bedanken konnte für diese Rettungstat, war die Yacht schon weit voraus. Für mich jedoch war Barth, noch etliche Seemeilen entfernt im Barther Bodden gelegen, keine Option. So nass, wie ich war, steuerte ich mit langsamer Fahrt den nahe voraus liegenden Hafen Barhöft an, in dem ich nach dem Festmachen zuallererst eine ganz notwendige Bilgen- und Maschinenkontrolle vornahm.

Die machte ich, es war vorläufig nichts Auffälliges zu sehen. Abends telefonierte ich mit meinem Wismarer Segelfreund. Sein letztes Wort war:" ... da wollen wir mal hoffen, dass nichts kaputt gegangen ist!"

In aller Herrgottsfrühe, kurz vor dem Auslaufen aus Barhöft, machte ich erneut eine Maschinenkontrolle. Der Ölstand am Ausgleichsbehälter zur Wellenabdichtung war in Ordnung. Der Peilstab am Motor zeigte die richtige Menge an, und der am Getriebe ebenso. In der Bilge war ein kleiner Ölfleck, der mich zwar ein wenig irritierte, doch einen solchen hatte ich auch schon auf Hiddensee festgestellt. Aber in dieser Größenordnung völlig unerheblich. Ich wischte ihn mit etwas Küchenpapier weg, und damit war die Bilge wieder so, wie ich sie haben wollte. Sauber und trocken. Dann also los!

Ein herrlicher Morgen. Im Hauptfahrwasser stieß ich auf südlichen Wind. Das passte. Die Genua wurde gesetzt, das Boot segelte mit 4,5 Knoten nach Norden, dicht unter dem Westufer von Hiddensee. Als der Leuchtturm GELLEN querab war, ging ich auf Westkurs. Noch

war ich nicht im tiefen Wasser, aber es sollte auf jeden Fall reichen. Mit halbem Wind und bei weiterhin schönem Wetter segelte ich nun dem Darß entgegen. Gut 20 Seemeilen lagen vor mir, und im Nachhinein würde ich sagen, es war - jedenfalls bis zum Westende der Darßer Rinne - das schönste Etmal meiner Reise.

Um 1240 Uhr war ich an der Ostansteuerung der besagten Rinne und eine halbe Stunde später an deren Westtonne. Noch war es früh am Tag, der Wind sollte eigentlich inzwischen auf West gedreht sein.

Das hätte mir gut gepasst, denn mit fast halbem Wind nach Warnemünde hinunter zu laufen, dafür wäre diese Winddrehung sehr gut gewesen. Denn bis Warnemünde sind es von hier noch 25 Seemeilen, und einen Ausweichhafen an der Westseite von Fischland gibt es nicht.

Leider hatte der Wind doch nicht so weit gedreht, wie es angekündigt worden war, er blies nun aus Südwest und damit ziemlich genau von vorn. Sogar recht unangenehme Wellen trieb er schon vor sich her, die sehr hinderlich sein würden. Aber mit Maschinenunterstützung sollte das gehen, zumindest bis der Wind endgültig auf West gedreht haben würde. Allerdings sind 25 Seemeilen doch eine ziemlich lange Strecke, und im Dunklen ohne Unterstützung von Land aus im Warnemünder Hafen HOHE DÜNE festzumachen, da kann man sich als Einhandsegler durchaus etwas Besseres vorstellen. Doch zu aller erst hatte ich noch einmal einen Blick in die Maschine zu werfen!

Ich hob die Klappe zum Motorraum ... und erschauerte bis ins Mark! Die Bilge war voller Öl! Tiefschwarz schwappte es hin und her. Absolut erschreckend! Doch, wo kam das Öl her? Ich zog den Peilstab am Motor, kein Öl zu sehen! Kann das denn wahr sein? Hatte mein Boot also doch Schaden genommen?

Nun, genug Öl habe ich für solche Fälle immer an Bord. Trotz der Wellen, die das Boot nun hin und her warfen, öffnete ich die Schraube am Motor, entnahm Backskiste den Ölkanister, formte mir aus dem unteren Ende einer leeren Plastikflasche ein kleines handliches Gefäß, füllte dieses und gab das Öl in den Motor. Danach zeigte der Ölstab genug Öl an. War es das? Nur zur Sicherheit zog ich nun auch den schlecht zugänglichen Peilstab am Getriebe. Auch da ... kein Öl! Der Maschinenschlosser in Borgwedel hatte doch noch vor dem Auslaufen das Getriebe überprüft und mir danach "alles klar" gemeldet. Und nun fehlte auch hier Öl, und zwar gar nicht wenig. Doch was sollte ich denn nun in dieser Situation machen? Das Bisschen, das ich an Getriebeöl an Bord hatte, würde da nie ausreichen! Das brauchte ich gar nicht erst versuchen.

Am Ende gab ich - trotz aller Bedenken - vom vorhandenen Motoröl der Sorte 10 W 40 soviel ins Getriebe, bis der Peilstab anzeigte. Motto: lieber ein nicht ganz richtiges Öl, als gar keins!

Nachdem ich die Motorklappe wieder geschlossen hatte, ging ich auf Gegenkurs und nahm die Genua auf den Backbordbug. Der Wind fasste ins Segel und schob das Boot durch die Rinne, bald war ich an der Untiefentonne Ost. Ab hier steuerte ich Süd, nun mit Maschinenunterstützung, aber nur mit vorsichtigen 1600 Umdrehungen an der Welle. Dann nahm ich das Segel weg und ging auf Westkurs. Die gelben Tonnen des Naturschutzgebietes wiesen mir die Richtung, und voraus sah ich bald auch den hohen Kran und die aufragenden Stelzen der Hubinsel,

die dort für die Erbauung des Hafens Prerow neben anderen Schiffen und Booten in der Einfahrt zum Nothafen Darßer Ort bereit lagen.

Also mal wieder in Darßer Ort! Diesmal aber tatsächlich auf Grund einer gewissen Notfallsituation. Als ich die Schiffe und die schwimmenden Großgeräte in der Einfahrt passiert und am Steg festgemacht hatte, sah ich mich um. Viel war hier immer noch nicht los: Der Rettungskreuzer lag da wie angewachsen, ein paar kleine Fischerboote dümpelten im Schilf der Ostseite, ein unbemanntes Segelboot lag einsam weiter vorn. Der Westen der seeähnlichen Hafenbucht war wegen Naturschutz abgesperrt, aber dort ist es auch sehr flach, wie ich erkennen konnte. Und auf der Südseite des Steges erstreckt sich bis zum Waldrand das Schilf. Ohne zu zögern, wandte ich mich wieder der Maschine zu, die mit reichlich schwarzem Öl gefüllte Bilge war ja nun wirklich kein Anblick, der einen Segler erfreut. Umgehend machte ich mich daran, hier Abhilfe zu schaffen.

Mit einem kleinen Gefäß schöpfte ich die Bilge aus und sammelte das Öl in einem eigens für solche und ähnliche Fälle vorgehaltenen 5-Liter-Plastik-Kanister. Als ich jedoch damit zu Ende war, merkte ich, dass so viel Menge an Öl gar nicht in den Kanister gelangt war. Vielleicht ein Zehntel Liter, vielleicht etwas mehr. Auf jeden Fall deutlich weniger, als ich es beim Blick in die Bilge vermutet hatte. Doch immer war noch nicht war klar, woher das Öl kam. Die Peilung am Motor zeigte nun sogar etwas zu viel davon an. Das konnte zwar etwas bedeuten, aber möglicherweise lag es auch nur daran, dass das Boot damals bei der Messung ein wenig schräg gelegen hatte und ich deshalb, in der Annahme, es fehle etwas, zu viel eingegossen hatte. Gut ist das zwar auch nicht, aber beim Fahren mit geringen Umdrehungen sollte das nichts ausmachen. Der Peilstab am Getriebe zeigte zwar zu wenig Öl an, aber auch nicht so viel zu wenig, als dass man sich hätte Sorgen machen müssen. Immerhin fehlte hier nur wenig, gemessen an der vorgeschriebenen Füllmenge von 1,1 Litern. Mir erschien alles sehr nebulös, und die Tatsache zu allem Anderen nun auch noch Motoröl im Getriebe zu haben, belastete mich jetzt doch. Sollte ich versuchen, einen Ölwechsel vorzunehmen? Dazu hätte ich aber Getriebeöl gebraucht, das ich gar nicht hatte.

Am nächsten Morgen gab es zumindest die Gewissheit, dass bei Stillstand des Motors kein weiteres Öl auslief, die Bilge war frei. Die Leckage, und um so etwas musste es sich handeln, war wohl sehr weit oberhalb, auch wenn bei genauester Kontrolle nirgends ein Anhalt dafür zu finden war. Trotz eines einstündigen Probelaufs, bei dem das Öl am Ende doch wieder tropfte, konnte ich keine Ursache feststellen. Selbst die Farbe des Öls half nicht weiter, es hatte in der Bilge schwarz gewirkt, aber beim Ausstreichen auf dem weißen Holm der Bilgenumrandung, zeigte es sich sauber und eher gelb-bräunlich. Da war mal wieder guter Rat teuer!

Nach einer ruhigen Nacht am Steg stand ich um 0830 Uhr des nächsten Morgens vorm Hafenmeister-Container, um mich anzumelden, meine Daten abzugeben und meinen Obulus zu entrichten. Ganz gegen meine Erwartung war niemand da, doch dann kam eine Frau mittleren Alters aus der Deckung des nahen Waldes, stellte sich als Hafenmeisterin vor und schloss auf. Immerhin 13 € hatte ich zu löhnen, und auf meine Frage nach den Toiletten sagte sie: "So etwas gibt es hier nicht! Aber sie können gerne die ganz große Toilette nehmen!", und damit spielte sie augenzwinkernd auf ihren eben beendeten Waldaufenthalt an. Zu meinem Motorproblem gab sie mir jedoch den Tipp, mich an den Maschinisten des Rettungskreuzers zu wenden, der könne mir vielleicht weiterhelfen.

Das tat ich dann auch, und der Maschinist kam im Laufe der 4 Tage, die ich - allein schon wegen des für meine Weiterfahrt so ungünstigen Westwindes der Stärke 6 bis 7 - im Nothafen bleiben musste, einige Male zu mir an Bord. Bei all seinem Einsatz war es doch so, dass mir in der Einöde von Darßer Ort nicht wirklich geholfen werden konnte. Immerhin war er der Überzeugung, dass mein Motoröl im Getriebe keinen Schaden anrichten könne. Zum einen sei selbst "unvorschriftsgemäßes" Öl allemal besser als zu wenig Öl, und zum anderen sei die Sorte "10 W 40" ein Mehrbereichsöl, das eigentlich gar nicht falsch sein kann. Insgesamt konnten wir aber den Schadensort eingrenzen, und danach schien es so zu sein, dass das Öl in der Bilge tatsächlich aus dem Getriebe stammte, das bei meiner Strandung vor Hiddensee und da besonders durch die Wirkung des Tampens in der Schraube, wohl doch einen Schaden abbekommen hätte. Und in diesem Zusammenhang fielen immer wieder Worte wie "Simmerring" und Dichtung, Worte, die sich sehr danach anhörten, als dass bei einer Reparatur die gesamte Motor-Getriebe-Einheit ausgebaut werden müsse. Dies aber selbstredend nicht hier im Nothafen von Darßer Ort, wo weit und breit keine Bootsmotorenwerkstatt vorhanden ist.

Der Wind blies immer noch heftig aus West, und schien sich nicht nur für die kommenden Tage auf West festgelegt zu haben. So schnell würde ich hier nicht wegkommen, vor allem nicht in der von mir gewünschten Richtung, denn der "Windfinder" zeigte für die gesamte Voraussagezeit, selbst die entferntere, immer nur strammen Westwind an. Und in diesem Zusammenhang tauchte ein neues Problem auf, denn spätestens am 1. des nächsten Monats hatte ich zu einem Fixtermin zu Hause zu sein, und da könnte ich - sollte der Wind weiterhin so ungnädig aus West blasen, wie es die Voraussage des Windfinders vermuten ließ - in arge Zeitnot kommen. Und so etwas ist nie günstig beim Segeln und oft genug der wahre Grund für Unfälle aller Art.

Dennoch fühlte ich mich sehr wohl auf dem Darß. Vom strammen Westwind war auf der Ostseite der Halbinsel, wo der Hafen liegt, kaum etwas zu merken, die vielen, vielen Bäume der umliegenden Wälder leisteten da ganze Arbeit. Es war angenehm warm, nicht zu heiß, nicht zu kalt, und die sonst so gefürchteten Darßer Mücken waren wohl tatsächlich ausgewandert, denn ich bemerkte nichts von ihnen. Die von der Hafenmeisterin empfohlene "große Toilette" benutzte ich allerdings nicht. Da marschierte ich doch lieber ein ums andere Mal zum

1 Kilometer entfernten, idyllisch zwischen Strand und Wald gelegenen Groß-Campingplatz, wo Sanitäreinrichtungen in Hülle und Fülle vorhanden sind. Und wenn man es nicht allzu ungeschickt angeht, da kann man diese Anlagen auch ohne Schlüssel und Chipkarte benutzen. Und daneben gab es weitere Vorteile: Ich konnte mir Speis' und Trank servieren lassen, konnte einkaufen, sogar Geld holen und vor allem auch den eher jüngeren Campern bei ihren Urlaubsaktivitäten zusehen. Manchmal kam ich auch nett ins Gespräch, und wenn ich nicht nach dorthin unterwegs war, dann lief ich kilometerweit durch den Wald. Auch dem Leuchtturm an der Westküste stattete ich auf diese Weise meinen Besuch ab. Laut Hafenordnung ist nur ein einziger Tag der Anwesenheit im Nothafen erlaubt, aber für mich und mein krankes SEEKAIBI 3 galt das selbsredend nicht, ... und von der Landschaft her hätte ich hier noch viel länger bleiben können. Der Darß ist wirklich schön.

Was meine begrenzten Ölvorräte an Bord anging, so wurde ich gut versorgt. Das sehr freundliche Angebot der Hafenmeisterin, mich zur nächsten, aber doch sehr weit entfernten Tankstelle zu fahren, musste ich deshalb gar nicht annehmen, denn der Skipper eines der beiden kurz nach mir eingelaufenen 36-Fuß-Segelyachten, die ebenfalls auf günstigeren Wind warteten, gab mir ein Gebinde aus seinem Vorrat ab, und zuletzt füllte mir der Maschinist des Rettungskreuzers noch meinen Reservekanister wieder auf. Damit war ich mit dem äußerst notwendigen Schmiermittel mehr als ausreichend ausgestattet, trotz des zu erwartenden Mehrverbrauchs in meiner Maschinenabteilung. Und sollten dennoch alle Stricke reißen und eine echte Notlage eintreten auf meinem geplanten Weg nach Warnemünde, wo ich bereits Kontakt mit Motorwerkstätten aufgenommen hatte, so bekam ich nun noch die direkte Telefonnummer des Rettungskreuzers zugesteckt. Im Fall des Falles hätte ich also direkt die "Nis Randers" anrufen können.

Natürlich habe ich mich entsprechend bedankt, mit einer guten Flasche Rum aus der Backskiste und je einem Buch aus eigener Feder für die Ölspenden. Beides kam gut an.

Am Mittwochmorgen war es vorbei mit meinem Darßer Urlaubsleben. Mein Wecker läutete bereits um 0430 Uhr. Das Wetter hatte sich geändert, nachts hatte es geregnet, und es regnete immer noch, aber der Westwind hatte, wie es schien, ein wenig abgeflaut. Schnell war ich hoch, schnell war ich in Ölzeug und in Gummistiefeln, dann machte ich das Boot seeklar. In der Motorbilge war alles in Ordnung, auch in dieser Nacht war kein Öl ausgelaufen. Aber in Fahrt würde sich das bald ändern, damit hatte ich zu rechnen. Inzwischen war auch auf den beiden vor mir im Päckchen liegenden 36-Fuß-Yachten das Leben erwacht. Auch dort wollte man die vom Windfinder angekündigte Winddrehung auf Nord-West nutzen. Aber so viel Zeit, meine Leinen loszuwerfen und meinen Bug schadlos am Heck der beiden Yachten entlang zu führen, die hatte man dennoch.

Um Punkt 0500 Uhr verließ ich den Liegeplatz, jedoch nicht ohne mich noch einmal für die Hilfe bedankt und mich verabschiedet zu haben. Ich nahm Fahrt auf, und mit reduzierter Geschwindigkeit passierte ich den Rettungskreuzer, der noch in tiefster Nachtruhe lag, drehte danach in die Ausfahrt ein, passierte die hier liegenden, von meinem niedrigen Blickwinkel aus fast übermächtig wirkenden Wasserbaugerätschaften und fuhr hinaus in einen Tag, der noch nicht recht begonnen hatte. Noch war es eher dunkel als hell, alles um mich herum erschien in düsterem Grau, und die Kühle des Morgens ließ mich frösteln. Wenn das also der Klimawandel sein soll, so hatte er sich an diesem Morgen wohl ziemlich vertan. Immerhin gab es hier an der Leeseite der Darßer Halbinsel keine störenden Wellen, die mein Boot in seiner Vorausfahrt gehindert hätten. Trotz der vorsichtigen Maschinenfahrt von nur 1600 Umdrehungen pro Minute kam ich einigermaßen gut voran.

Um 0540 Uhr hatte ich die Osttonne der Darßer Rinne gerundet und ging auf Westkurs. Und nun zeigte sich, dass der Windfinder auch nicht alles weiß. Statt des angekündigten moderaten Nord-West-Windes blies mir doch wieder ein kräftiger West entgegen, dessen Wellen nur noch eine Fahrt von 3,5 Knoten zuließen, und zu allem Überfluss erhöhte jetzt der Regen seine Intensität. Der Bug meines Bootes zerteilte die anlaufende See, die Gischt spritzte, und ich musste ein ums andere Mal unter der Sprayhoot in Deckung gehen, um nicht die volle Ladung abzukriegen. Was für ein Morgen! Kalt und nass! Ein Morgen, der mich sehr an die längst vergangenen Zeiten der Marine erinnerte, als ich auf der freien Brücke eines Minensuchboots auf einer winterlich ungnädigen Nordsee unterwegs gewesen war. Als ich etwa die halbe Strecke der Rinne hinter mir hatte, bemerkte ich die beiden Yachten, die nach mir abgelegt hatten und nun einen Schleichweg durchs Riff benutzten. Dort an Bord wird man sich ausgekannt haben, ich hätte das nie gewagt.

In fast rechtem Winkel näherte ich mich den beiden herannahenden Yachten an. Vorschriftsmäßig stoppten sie auf, ließen mich passieren und kreuzten meinen Kurs dicht hinter meinem Heck. Ein Winkgruß wurde ausgetauscht, dann verschwanden die beiden Boote in einer Regenbö.

Um 0625 Uhr war die Westtonne gerundet, ich drehte an auf Kurs 225 bei 3,6 Knoten. Es war hell geworden, auch hatte der Regen nachgelassen, doch sehr unerfreulich war, dass der Westwind, der mir hier in einem gewissen Maße hätte nutzen können, sich der Küstenlinie angepasst hatte und nun als Südwest fast genau von vorne kam, ebenso seine Wellen, die er im Gepäck hatte. Mindestens 25 Seemeilen lagen in diesem Augenblick noch vor mir, und alles sah danach aus, dass ich noch sehr lange unterwegs sein würde.

Schon seit der Einfahrt in die Darß-Rinne hatte ich damit begonnen, regelmäßig die Maschine zu kontrollieren. Sehr bald hatte sich wieder Öl in der Bilge gesammelt, der Ölstand war zunächst stetig gestiegen, hatte dann aber den Anstieg verlangsamt. Als ich zuletzt die Ölpeilung in der Bilge gemacht hatte, war ich mir sicher, dass seit der letzten Messung kaum oder gar nichts mehr an Öl hinzugekommen war. Da konnte ich auf eine Nachfüllung erst einmal verzichten. Dennoch war ich "not amused" als ich die Motorluke wieder schloss. Öl in der Bilge, sogar wenn es nur wenig ist, hat bei mir leider immer eine sehr deprimierende Wirkung.

Um 0700 Uhr stand der Leuchtturm Darß in West, ich machte einen Segelversuch mit der Genua, aber den musste ich bald schon wieder wegen nachgewiesener Erfolglosigkeit einstellen. Immerhin war nun der Tag wahrhaftig angebrochen, gelegentlich zeigte sich auch für einen winzigen Moment eine wärmende Sonne, der Regen hatte fast ganz aufgehört, und inzwischen schien es auch so, dass der Windfinder doch nicht ganz so falsch lag mit seiner Prognose. Der Wind war tatsächlich auf West-Nord-West umgeschwenkt, hatte aber dermaßen nachgelassen, dass ich meine Genua gar nicht erst in Betrieb nahm.

Diese neue Situation setzte neue Überlegungen frei. Ich wollte vor allem deshalb Warnemünde ansteuern, um dort meine Maschine reparieren zu lassen. Meine Telefonate waren zwar einigermaßen erfolgreich gewesen, aber nicht alles, was ich da gehört hatte, hatte mir gefallen. Offensichtlich hatte man dort nur wenig "Ahnung" von einem Dieselmotor der Marke BUKH, und wie lange die Reparatur dauern sollte, da ließ man mich vorsichtshalber völlig im Unklaren. Und sogar wie ich nach dem Herausheben des Motors wieder an den Liegeplatz zurückkehren sollte, ohne Motor und bei all dem Wind, der die ganze nächste Zeit in der Luft sein sollte, das wäre dann auch mein ganz persönliches Einhandproblem gewesen. Überzeugend fand ich das nicht.

Gegen 1200 Uhr passierte ich den Dampferweg. Nun war die Entscheidung fällig, sollte ich nach Warnemünde oder sollte ich die Gunst der inzwischen deutlich eingetretenen Wetterbesserung nutzen und gleich nach Kühlungsborn weiterlaufen? Immerhin ersparte mir dies 15 Seemeilen auf meinem Weg nach West. Fünfzehn Seemeilen, die vielleicht sogar entscheidend sein konnten bei der Westlage, die allem Anschein nach noch "ewig" lange anhalten sollte. Ein abschließender Blick in die Motorabteilung meines Bootes brachte die Entscheidung: Kurs Kühlungsborn! Um 1500 Uhr war ich da. Nach genau 10 Stunden einer mühseligen Fahrt!

Kühlungsborn ist es immer wert, dort eingelaufen zu sein. Selbst wenn es nur darum geht, die Treibstoffbestände an Bord aufzufüllen. Das gelang mir sehr gut mit Hilfe eines Bootswagens aus der Hafenmeisterei. Daneben gelang es mir auch endlich, den Seniorchef jener Werkstatt in Kappeln "ans Rohr" zu bekommen, der sich nicht nur mit meinem BUKH-Motor bestens auskannte, sondern der ihn damals vor 18 Jahren auch eingebaut hatte. "Ja", sagte er: " Das haben Sie soweit ganz richtig gemacht. Diese Sorte Motoröl kann man bedenkenlos auch im Getriebe verwenden, und wenn tatsächlich nicht mehr Öl verloren geht in einem Zeitraum von 10 Stunden, dann ist auch immer noch genug davon im Getriebe vorhanden, sodass bei geringer Fahrt kein Schaden entstehen kann. Und was die Ursache betrifft, so bin ich eher der Meinung, dass ein Simmering nach solch langer Zeit versprödet sein kann. Da braucht es dann nicht mehr viel, um ihn ausbrechen zu lassen!". Mit dieser Aussage war ich sehr zufrieden, auch wenn sie mir im Moment nicht weiterhelfen konnte. Und um ganz sicher zu gehen, schnitt ich mir aus einem dünnen Drahtkleiderbügel, wie sie üblicherweise bei der Bundeswehr benutzt werden, den gerade geformten Basisstrang heraus und peilte damit ganz in der Tiefe des Getriebes: Ja, da war noch ordentlich Öl drin, zwar nicht in der vorgeschriebenen Menge, aber doch so viel, dass es nach meiner Meinung für eine ausreichende Schmierung bei reduzierter Geschwindigkeit genügen sollte.

Die kalte und nasse Wetterstörung vom Vortag war erst einmal beendet, zumindest bis zur nächsten. Jedenfalls nutzte ich den schönen Nachmittag dieses 22° warmen, aber aber wieder von einem starken Westwind bestimmten Tages zu einem ausgedehnten Landgang. Ich bummelte durch den Ort, kaufte ein, genoss einen Becher Kaffee und bestieg danach den dampfgetriebenen Museumszug MOLLI, der von Bad Doberan kommend nach Kühlungsborn-West unterwegs war. Vor 30 Jahren war ich für ganze 6 DM damit von Bad Doberan aus die gesamte Strecke gefahren, hin und zurück, doch jetzt kostete allein die 3-Kilometer-Fahrt vom hiesigen Kühlungsborn-Ost bis zum Endbahnhof in Kühlungsborn-West volle 6 Euro! Doch über solche Preissteigerungen sollte man sich in Momenten wie diesen keine Gedanken machen, und deshalb genoss ich die Fahrt in diesem gut erhaltenen und wohlrestaurierten Oldtimer der Schiene, der sich auch nach über 100 Jahren des Betriebs immer noch großer Beliebtheit erfreut.

In Kühlungsborn-West, dem einstigen Brunshaupten, bevor es mit Arendsee zum heutigen Seebad zusammengelegt wurde, wanderte ich mit offenen Augen durch den Ort und sah, dass seit Anfang der 1990er Jahre alles ordentlich renoviert worden war. Alles, mit Ausnahme des ehemaligen Casinos, das gerade wegen seiner einstmals prunkvollen, aber jetzt sehr heruntergekommenen Bausubstanz einen absolut traurigen Eindruck auf mich machte. Verglichen mit dem Ostteil war dieser Ortsteil West wohl zu früheren Zeiten der mondänere Teil von Kühlungsborn gewesen. Doch trotz der noblen und manchmal schlossähnlichen Bauten im wilhelminischen Stil scheint dieser westliche in den Windschatten des östlichen geraten zu sein. Was hier fehlt ist der Sportboothafen

und die Seebrücke, die beide im Osten vorhanden sind, und dieses Manko kann auch nicht durch das mächtige Riesenrad am weitläufigen und trotz des windbedingten Badeverbots gut besuchten Strand ausgeglichen werden.

Nun denn, ich schlenderte die Promenade entlang, nahm einen vorzüglichen Eisbecher im renommierten Café RÖNTGEN, dem ersten Haus am Platz, und als ich am Riesenrad vorbei kam, konnte ich diesem nicht widerstehen. Für 8 € war ich dabei und genoss

danach eine grandiose Aussicht aus 60 Metern Höhe, während der Wind durch die Streben zischte und die Gondeln ins Schaukeln brachte.

Als ich nach 17 Kilometern Fußmarsch und einem abschließenden Regenguss von beträchtlichem Ausmaß an Bord zurück war, konnte ich mein Glück kaum fassen: Der Windfinder zeigte für den Folgetag moderate Winde aus Südwest an. Da sollte doch ein Segeltörn nach Fehmarn kein Problem sein!

In der Tat, so war es auch. Um 0800 Uhr des nächsten Tages war ich auf dem Wasser, die Sonne schien, die Genua blähte sich unter dem Wind aus Südwest und mein SEEKAIBI galoppierte davon mit Kurs Nordwest. Eigentlich hatte ich zwar vorgehabt, noch einen Schlag in die Wismarbucht zu machen, um Freunde zu treffen, aber daran war seit meinem Getriebeschaden ohnehin nicht mehr zu denken. Doch jetzt so unbeschwert und flott davonzusegeln, das hatte ich auf dieser Reise viel zu selten erlebt, und nun war es endlich wieder eingetreten. Welche Freude!

Aber um 1300 Uhr war es vorbei mit dem schönen Zwischenhoch, der Wind kam wieder mit Macht aus West und unterstrich seine

Anwesenheit mit dunklen Wolken und einem Regenguss, der "sich gewaschen" hatte. Das konnte meine gute Laune kaum schmälern, denn da stand ich bereits im Fehmarnsund, und weit war es nun nicht mehr bis zum Werfthafen Schaich, der so günstig nahe der Brücke und an einer Engstelle des Fahrwassers liegt.

Trotz des frühen Einlaufens konnte ich mit dem Tag nichts anfangen. Der Regen kam nun dauerhaft waagerecht, der Wind sirrte durch die Riggs der Boote, und der Windfinder zeigte mir für die kommenden zwei Wochen keinerlei Besserung an. Da machte ich mir

schon ein paar Gedeanken, wie ich es anstellen könnte, trotz dieser anhaltenden meteorologischen Westlage pünktlich zu meinem Termin zu Hause zu sein. Bei der abendlichen Entrichtung des Hafengelds offerierte man mir auf meine Anfrage hin sogar die Möglichkeit, für 400,- € das Boot gleich hier für einen Monat liegen zu lassen, um wenigstens mit Bussen und Bahnen nach Hause zu kommen. Denkbar war das, aber erfreut hat mich diese Vorstellung wahrlich nicht.

Das war vielleicht der Grund, dass ich am nächsten Morgen meine Körperkräfte in einen ausgedehnten Fußmarsch investierte. Unter Ausnutzung einer morgendlichen Wetterbesserung marschierte ich an der Küste entlang zum Burger See, dann um ihn herum nach Burgstaaken, wo der Haupthafen von Fehmarn ist, und danach weiter nach Burg, zum Hauptort der Insel. Das Wetter trübte zwar

bald wieder ein, aber die vielen Touris, die an diesem Samstag überall unter den aufgespannten Sonnenschirmen saßen und sich das Mittagessen schmecken ließen, störten mich nicht, in einem Bäckercafé das längst überfällige Frühstück einzunehmen. Ja, es war schön und interessant in Burg, und eigentlich hätte ich dort noch viel länger verweilen können, aber die Wolken ballten sich wieder drohend zusammen, sodass ich zusah, an Bord zu kommen. Ganze 20 Kilometer hatte ich zurückgelegt, als ich wieder im Hafen war. Und ich erreichte mein Boot keinen Moment zu früh, denn der Nieselregen, der mich bereits auf dem letzten Teil des Rückwegs begleitet hatte, weitete sich jetzt enorm aus.

Abends, schon halbwegs in der Koje, checkte ich erneut den Windfinder. Und ich traute meinen Augen kaum! Nun zeigte er mir für den kommenden Tag einen Wind aus Süd der Stärke 4 bis 5 an. Das hieß für mich, bei halbem Wind in flotter Fahrt nach Westen segeln zu können. Besser ging es kaum. Und das Schießgebiet, in dem seit Anfang des Jahres fast ununterbrochen geschossen wurde, hatte für diesen Sonntag eine Pause genommen. Das passte exakt, ich war begeistert.

Doch als ich sonntagmorgens um 0500 Uhr auslief, um die vor mir liegende, 45 Seemeilen lange Strecke zu bewältigen, war nicht nur schon wieder ein kühler Nieselregen da, sondern auch ein Wind, der leider nicht aus Süd kam. Nein, es herrschte bestenfalls ein Südwestwind vor, der meinem kleinen und leichten Kielschwert-Boot namens SEEKAIBI 3 ganz sicher nicht behagte, zumindest nicht auf dem Kurs nach West zur Kieler Förde. Immerhin kamen die Wellen nicht direkt von vorn, aber wie ich zu meinem Bedauern feststellen musste, mehr als 4 Knoten waren bei der reduzierten Leistung meiner beschädigten Maschine nicht möglich. Doch nördlich der Hohwachter Bucht, als der Wind stärker wurde, setzte ich zusätzlich die Genua, jedoch stark gerefft. Ich holte die Schot so dicht wie möglich, und nun zeigte sich mein Boot doch ganz angetan und dankte es mir mit einer Fahrt von durchweg um die 6 Knoten. Da wollte ich mich auch über den zunehmenden Regen nicht mehr aufregen.

Der Wind drehte im Laufe der nächsten Stunden immer weiter rechts, und ich musste mehr und mehr nach Norden abfallen. Ich befürchtete schon, gleich bis zur weit entfernten Schlei durchlaufen zu müssen, doch ein kurz andauernder Winddreher erlaubte es mir, wieder unter die Küste zurückzukehren. Aber gegen Mittag, als ich in den Außenbereich der Kieler Förde einlief, war es dann doch wieder der altbekannte Westwind von 6 bis 7 Beaufort, der mir aus der Strander Bucht vierkant entgegenblies. Und genau dort wollte ich hin, nach Strande, wo man bei Westwind immer so ruhig liegt, ganz im Gegensatz zu Laboe, wo dann ein ganz unangenehmer Schwell in den Hafen steht, sodass mein bevorstehendes Einhandanlegemanöver zum riskanten Glücksspiel werden könnte. Denn bei diesem Schmuddelwetter konnte ich nicht damit rechnen, eine hilfreiche Hand im Augenblick des Festmachens zu finden.

Doch noch war Strande weit entfernt. Als ich vor dem Fahrwasser der Kieler Förde stand, bemerkte ich einen großen Dampfer, der eben den Friedrichsorter Leuchtturm passiert hatte und nun der offenen Ostsee zustrebte. Unter normalen Wetter- und Maschinenbedingungen hätte ich noch vor ihm das Fahrwasser queren können, so aber stoppte ich auf, um dem Dampfer, der sich dann aber doch nur zögernd annäherte, den Vortritt zu lassen. Doch offensichtlich hatte der Wind nur auf eine solche Gelegenheit gewartet, um mein Boot noch einmal kräftig durchzuschütteln. Und ohne den ausreichenden Ruderdruck durch den Propellerstrom gelang ihm das auch spielend. Als ich die knatternde Genua einnehmen wollte und dabei mit beiden Händen an der Reffleine arbeitete, schaukelte sich das Boot auf und schwojte wild herum, einmal, zweimal, dreimal, und am Ende hatten sich Segel und Schot dermaßen ineinander vertörnt, dass ich auch mit größter Kraftanstrengung rein gar nichts bewirken konnte. Sollte ich also bei diesem Seegang jetzt nach vorn, um dort zu klarieren? Nein, ganz bestimmt nicht, denn auch angeleint ist es in solch einem Moment auf dem schwankenden Vorschiff viel zu gefährlich.

Dann, als der Dampfer endlich vorbei war und das Segel schon kurz davor stand, in Fetzen zu gehen, hatte ich die Idee. Ich drehte das Boot, das sich zuvor über Backbord gedreht hatte, unter Motorkraft mehrere Male über Steuerbord. Schot und Segel wickelten sich wieder ab, und nun konnte ich auch einigermaßen passabel das immer noch heftig schlagende Segel bergen. Danach war es kein Problem mehr, Strande zu erreichen und an einem freien Liegeplatz festzumachen.

Tatsächlich, in Strande herrschte ein ganz anderes Klima, zumindest an diesem Nachmittag. Hier in Windlee war tatsächlich wieder etwas von einem Sommer zu verspüren, wie er der Jahreszeit angemessen ist. Der Regen war bald weg, die Sonne brach mehr und

mehr durch die Wolken und ließ die Temperaturen steigen. Allein das sorgte bereits für frohe Gefühle bei mir. Aber es war auch eine Last von mir abgefallen, denn, wie sich Wind und Wetter in den nächsten Tagen auch zeigen würden, von Strande aus würde ich ganz sicher pünktlich in die Eider kommen können, ... und mit ein wenig Wohlwollen seitens des Wettergotts NEPTUN auch in die Schlei.

Das erste Telefonat, das ich führte, ergab Folgendes: Der Kappelner Motormeister riet mir, meine Segelsaison wie geplant zu Ende zu fahren, denn im Moment habe er keine Kapazitäten zur Verfügung, die Reparatur solle deshalb erst nach dem Auswassern des Bootes er-

folgen. Damit war die Entscheidung für die Eider gefallen. Im zweiten Telefonat ging es um den Liegeplatz in Süderstapel, aber hier konnte mir unser Hafenmeister erst einen Liegeplatz zum kommenden Sonntagnachmittag anbieten. Somit hatte ich jetzt trotz meines Termins

reichlich Zeit und konnte es ruhig angehen lassen. Volle drei Tage blieb ich in Strande, genoss die Annehmlichkeiten des Seebades, und empfing, als es zwischen den gelegentlichen Regengüssen für einige Stunden beinahe hochsommerlich warm geworden war, sogar

Besuch von Zuhause, den ich alsbald zu einer perfekten Portion Eis mit Sahne ins nahe Strandcafé ausführte. Doch der Höhepunkt der Geschmacksempfindung war für mich, als ich mir im Hafenrestaurant "Königsberger Klopse", original ostpreußisch zubereitet mit zarten

Petersilienkartoffeln, Kapern und roter Bete, servieren ließ. Ein schonend gewürztes, gut mundendes und vor allem sehr magenfreundliches Tellergericht, das ich bestimmt seit meiner schon ewig lange zurückliegenden Marinezeit nicht mehr gegessen hatte.


Die Fahrt nach Süderstapel war danach unspektakulär, Wind und Wetter hielten sich meistens zurück. Über die Stationen Rendsburg und Vorhafen Gieselauschleuse erreichte ich den kleinen Ort Bargen an der Eider. Von hier aus war es nur noch eine Stunde bis

Süderstapel, aber schenken wollte mir der Wettergott nichts, als ich gegen Sonntagmittag, am 28. Tag meiner Segelfahrt, dort startete. Auch auf dieser kurzen Strecke zeigte mir NEPTUN, wozu er in der Lage ist. Er ließ noch einmal seine Winde wehen, so dass die

Windräder an Backbord alle den Betrieb einstellen mussten, und als ich in Süderstapel den mir zugewiesenen Liegeplatz ansteuerte, da ließ er noch einmal derart den Regen auf mich herniederprasseln, als hätte ich bisher noch nicht genug davon gehabt. Noch mit den

Leinen beschäftigt rief ich in einem Anfall von Fatalismus zum Skipper der nebean liegenden AMALTHEA hinüber, der interessiert mein Manöver aus der persenninggeschützten Plicht verfolgte: "Da sieht man es mal wieder: Segeln ist ein Wassersport!" Seine Antwort war: "Aber sooo wörtlich muss man es doch wirklich nicht nehmen!" Und damit hatte er das Geschehen treffend kommentiert und dazu ein "großes Wort" gelassen ausgesprochen.

E N D E
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