Alles im Lot auf dem schwankenden Boot! (2022)



Oder: die sonderbare Segeltour des Jahres 2022
Roland Blatt erzählt aus der Plicht



Moin Tiger, habe hier mal angefangen den 22er Törn in Angriff zu nehmen. Derzeit habe ich dazu ca 30 Fotos in petto, die ich Dir als Anlage per E-Mail heute zusenden werde. Nun ist es an Dir den jeweiligen Absatznummern die passenden zuzuordnen. Die unlängst zugesandten Fotos habe ich heute (26.11.) eingearbeitet.
Diese Probleme mit verschiedenen früheren Törns habe ich noch nicht ganz gelöst.
mit dem Törn von 2020: ich weiß nicht ob es sich bei der in der CHP provisorisch eingepflegten Übersicht um die 2020er Tour handelt, da nirgends eine Jahreszahl angegeben ist. 2016 habe ich auch noch in der pipeline; das scheint die Berlin-Tour gewesen zu sein. Muss auch noch umgeschrieben werden.



Meinem vor langer Zeit angekündigten und bisher noch nicht erfolgten Bericht bezüglich meiner Segelfahrt des Jahres 2022 möchte ich Folgendes vorausschicken:

001 Am 4. April 1966 trat ich in die Marine ein, und seitdem bin ich Mitglied der Crew IV/ 66, das heißt, ich bin in einer Art Marine-Vereinigung, die nicht nur für die aktive Zeit gilt, sondern im besten Falle auch bis zur endgültigen "Löffelabgabe" in einer hoffentlich fernen Zukunft. Und ganz ähnlich verhält es sich mit jener Studentenverbindung, in die ich während des Studiums eingetreten bin und der ich seitdem die Treue halte. Beide Vereinigungen unterscheiden sich, mal ganz grob betrachtet, eigentlich nur dadurch, dass bei meiner Studentenverbindung ein großes Haus zu unterhalten ist. Und das ist teuer!

002 Ohne mich genauer zum Thema äußern zu wollen, sei hier nur gesagt, dass ich seit Mitte 2020 den Auftrag habe, dieses Haus, das schon zwei Abrisstermine überlebt hat, wieder instand zu setzen, um sein Dasein auch in Zukunft zu gewährleisten. Seit fast 30 Monaten und bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt bin ich dort beschäftigt als Bauherr, als Polier, als Gelegenheitshandwerker und auch als ungelernte Bauhilfskraft sowie zuletzt auch als Organisator der Finanzen. Leider stand diese Tätigkeit auch in dem Sommer 2022 meiner Segelfahrt im Wege.

003 Lange Zeit standen meine Tätigkeiten in Kiel auch den notwendigen Bootsarbeiten an meinem kleinen und inzwischen in die Jahre gekommenen Boot mit dem alt angestammten Namen SEEKAIBI vom Typ Neptun 27 A in der Ausführung mit starkem Motor, Achterkajüte und Mittelplicht entgegen, und so war, als das Wetter besser wurde, nicht viel Zeit dafür. Wieder wurde das Boot aus der Halle geholt, und nur die allernotwendigsten Arbeiten waren erledigt, als es Mitte Juni 2022 zu Wasser kam und der Mast gesetzt wurde. Auf den ersten Blick schien es, als sei "Alles im Lot auf dem schwankenden Boot".

004 Als ich nach einigen Tagen wieder an Bord ging, um es für die kommende Sommerfahrt auszurüsten, wurde ich jedoch mit einer höchst unangenehmen Überraschung konfrontiert: Die Bilge der Motorabteilung war fast vollkommen mit Wasser gefüllt. Mit anderen Worten: Da war etwas undicht, entweder war das Wassertanksystem leck oder das Boot selbst!

005 Wie es sich mir darstellte, schien es eher Letzteres zu sein. Damit war es wohl das Wasser der Schlei, dass sich den Weg in die Bilge bahnte. In kleinen Mengen zwar, aber in stetigem Fluss. Und damit war jetzt nicht mehr "Alles im Lot auf dem schwankenden Boot!"

006 Tagelang beobachtete ich das Geschehen, ich konnte sogar zusehen, wie das Wasser, als ich gelenzt hatte, wieder aus dem Boden der Bilge hervorquoll. Und Tag für Tag sorgte ich nun für die Trockenlegung der Bilge, doch jedes Mal, wenn ich erneut an Bord war, zeigte sich das Wasser wieder an dieser Stelle, wo es wirklich nicht gerne gesehen ist. Eine eindeutige Ursache war nicht zu erkennen, dennoch geriet immer mehr der Schwertkasten in den Fokus meiner Überlegungen und in die des zur Unterstützung herbeigerufenen Bootsbauers.

007 Sollte das jedoch so sein, so war mit einem kostspieligen und nur schwierig zu reparierenden Schaden an einer kaum zugänglichen Stelle des Bootes zu rechnen, dessen Auswirkungen bis in die Kajüte reichten. Mit anderen Worten, es blieb dabei, es war keineswegs "Alles im Lot auf dem schwankenden Boot!"

008 Doch ich war entschlossen, auf Einhandfahrt zu gehen, zumal ich zuletzt den Eindruck gewann, dass das Nachströmen des Wassers in der Menge etwas weniger wurde. Inwieweit das allerdings nur ein Wunschdenken war, möchte ich einmal dahingestellt sein lassen.

Borgwedel/ Schlei, Tag 1

009 Um 1500 Uhr lief ich in Borgwedel aus, erreichte das Fahrwasser an der Nordseite der Großen Breite und ging auf Revierfahrt Ost.

Ein im Mittel nur mäßiger Westwind stand im Segel, um 1645 Uhr passierte ich die Brücke Lindaunis, die wegen des in Arbeit befindlichen Neubaus nur zu diesem nachmittäglichen Zeitpunkt passierbar war, und erreichte bereits um 1900 Uhr einen Liegeplatz östlich der Klappbrücke von Kappeln.

010 Mein Plan war gewesen, zügig nach Rügen zu segeln, um dort einen in Chile beheimateten Bundesbruder meiner alten Studentenverbindung zu treffen, mit dem ich seit einiger Zeit in E-Mail-Kontakt stand. Ja, es war ein originaler Chilene und nicht jener allseits bekannte Crewkamerad aus Mexiko, der sich mir gelegentlich als Törnberater zur Verfügung stellt.

011 Durch schlechte Wetterprognosen und die Verzögerung durch die genannte Leckage war dieser Plan jedoch bereits hinfällig, nun gab es nur noch die Möglichkeit, ihn in Kiel im Rahmen einer geplanten allgemeinen Zusammenkunft zu treffen, und deshalb hatte ich eigentlich "alle Zeit der Welt".

012 Leider zeigte sich in Kappeln die Bilge des Bootes genau so, wie ich sie in Borgwedel erlebt hatte. Das Wasser floss stetig, und 2x täglich war ich dabei, die Bilge zu lenzen. Das waren nun wahrhaft keine guten Voraussetzungen für die bevorstehende Einhand-Fahrt über die freie Ostsee. Dennoch genoss ich den Abend in diesem kleinen Schlei-Städtchen und ließ mich danach von den Wellen des böigen Westwinds in den Schlaf wiegen.

Kappeln, Tag 2

013 Der Morgen dieses Tages fing eigentlich schon recht unglücklich an. Die Geschmacksprobe des Bilgenwassers hatte ergeben, dass es eindeutig Salzwasser war, was sich dort sammelte. Insofern war klar, dass irgendwo ein Leck im Boot vorhanden war, durch welches das Wasser von außen eindrang. Die schlimmsten Befürchtungen waren somit wahr geworden, und meine Gedanken drehten sich fortan nur noch um den Schwertkasten, dessen Ende so verbaut war, dass man nichts erkennen konnte.

014 Um 1530 Uhr, als das Wetter vorübergehend Anzeichen einer Besserung zeigte, lief ich aus. Der inzwischen auf Süd-West gedrehte Wind zeigte die Stärke von Beaufort 5 bis 7, hatte aber die richtige Richtung, mich und mein Boot nach Strande zu blasen. Die jetzt eingereffte Genua, mein einziges Standardsegel, denn das Großsegel hatte ich erneut in der Halle gelassen, zog ordentlich und sorgte für eine gute Geschwindigkeit. Um 2000 Uhr lag mein Boot fest und wohlbehalten im Hafen von Strande.

015 Genau genommen war ich viel zu früh hier, denn die Zusammenkunft in Kiel sollte erst am Samstag sein. Aber ich traf Segelfreunde, erledigte dazu kleine Reparaturen und diskutierte das Problem an meinem Boot. Viel geholfen hat das aber nicht. Doch die Vorstellung, jetzt bei 7 Windstärken und einem Leck im Boot allein auf See unterwegs zu sein, ließ auch aus seemännischer Sicht meine Entscheidung, hier in Strande abzuwarten, vernünftig erscheinen.

Strande, Tag 8

016 Sechs Tage hatte ich in Strande gelegen. In Sachen Leck war ich nicht vorangekommen, doch ansonsten war alles, was ich auf dem Zettel hatte, und sogar manches mehr, zu meiner Zufriedenheit erledigt worden. Das besagte Treffen mit dem Chilenen und anderen Mitgliedern unserer Verbindung hatte übrigens bei Speis´ und Trank in der in ganz Kiel bekannten FORSTBAUMSCHULE stattgefunden, die sehr schön im mit vielen exotischen Bäumen bestückten Park von Düsternbrook gelegen ist.

017 Nun war die Forstbaumschule ein Platz, wo die meisten Anwesenden auf den Spuren ihrer lange zurückliegenden Studienzeit wandeln konnte. Besonders in Erinnerung war dieses Gasthaus bei uns "Alten Herren" als Lokalität für den weithin berühmten "Bauernball", der in grauen Vorzeiten einmal eingerichtet worden war, um bei der bäuerlichen Jugend eheliche Verbindungen und damit Nachwuchs für die Höfe Schleswig-Holsteins zu generieren. Bald jedoch hatten auch die Kieler Studenten ihre Möglichkeiten erkannt, sich erfolgreich unters Landvolk zu mischen. Auch ich hatte damals einmal bei einem Besuch des Bauernballs eine Dame mit 130 Hektar im Visier, doch Näheres zerschlug sich in dem Moment, als ein Interessent mit 450 Hektar "an de Feut" auftrat. Da konnte ich als Zahnmedizinstudent ohne Besitz an Grund und Boden natürlich nicht mithalten. Da wird nämlich in Bauernkreisen ganz pragmatisch gedacht: Liebe vergeht, doch Hektar besteht!

018 Es war ein mittelprächtiger Montag, als ich morgens aus Strande in Richtung Osten auslief. Der Wind hatte ganz erheblich nachgelassen und war zum Segeln kaum zu gebrauchen, es war jedoch günstig, dass die Bundeswehr im Schießgebiet von Putlos-Todendorf eine Schießpause eingelegt und die Durchfahrt freigegeben hatte.

019 Bereits um 1550 Uhr und nach einer unspektakulären Fahrt war ich vor Fehmarn und legte im Werfthafen der Schaich-Werft an. Zum einen liege ich hier immer ganz gerne, wenn ich einen Zwischenstopp auf dieser schönen Insel mache, und zum anderen gab es hier einmal mehr die Gelegenheit, einen Fachmann in Sachen "Leck" zu konsultieren. Aber auch hier schien der Schaden am Boot so wenig verlockend zu sein, dass mir etwas mehr als ein paar warme Worte des Bedauerns nicht zuteil wurde.

020 Trotz der Absage war ich nicht besonders betrübt, denn mit einer solchen Entwicklung der Dinge hatte ich schon gerechnet. Es wäre auch wirklich zu schön gewesen, hier - sozusagen "en passant" - mein Bootsproblem bewältigt zu bekommen. So blieb mir nur, mich an diesem schönen Tag auf Fehmarn zu verlustieren.

Fehmarn, Tag 9

021 Das Hafengeld war mit 20 € recht üppig bemessen, das ich zu löhnen hatte. Doch damit nicht genug, weitere 2 € hatte ich als Kurtaxe zu berappen. Und das war nun wirklich nicht einfach, es erforderte mehrere Telefonate und danach noch eine Weile, bis das Computersystem so gnädig war, mein Kleingeld anzunehmen.

022 So kam es, dass ich an diesem sonnigen und ruhigen Tag erst um 1200 Uhr ablegte. Dem Fahrwasser folgte ich auf dem Weg nach Osten, drehte dann aber nach Süd ein. Der Schwachwind bestimmte Kurs und Fahrt.

023 Das Wetter war inzwischen hochsommerlich, gern hätte ich meinen bunten Blister hochgezogen, aber der Wind hatte auf Südost gedreht und kam von vorn. So war es der Genua vorbehalten, für den mäßigen Vortrieb auf den anliegenden Kreuzkursen sorgen. Sicher hätte mir ein etwas schneidigerer Törn besser gefallen, aber ich hatte mich schnell arrangiert und buchte diesen Schlag in die Tiefe der Mecklenburger Bucht als "Genuss-Segeln" ab. Ich machte es mir gemütlich in der Plicht, überließ sogar für eine ziemlich lange Zeit dem Autopilot die Arbeit des Steuerns. Eigentlich war "Alles im Lot auf dem schwankenden Boot", wäre da nicht die Sache mit dem Wasser in der Bilge.

024 Um 1900 stand ich vor Grömitz und machte das Boot klar zum Einlaufen. Wenig später lag es fest am Steg. Lange war ich nicht mehr hier gewesen, Neugier auf Land und Leute, aber auch ein solides Hungergefühl trieben mich an Land.
Beides konnte befriedigt werden, dazu erwanderte ich die Promenade, bevor ich an diesem lauschigen Abend wieder an Bord zurück war.

Grömitz, Tag 10

025 Das Boot hatte wieder Wasser gezogen. Hatte ich vorher den Eindruck, das es weniger würde, so hatte ich jetzt den Eindruck, dass das Nass der Ostsee immer schneller zu mir an Bord kam.

026 Ursprünglich hatte ich den Plan gehabt, einmal mehr nach Kühlungsborn zu segeln, was bei dem momentanen Wetter auch geboten gewesen wäre, aber dort gab es keinerlei Möglichkeiten der Reparatur und diese schien mir nun immer dringlicher zu werden. Deshalb entschied ich mich, Travemünde anzulaufen.

027 Um 1100 Uhr war ich auf dem Wasser, der Kurs ging in Richtung Süd, die Maschine lief, bis ich vorm Brodtener Ufer doch noch einen günstigen Wind antraf, den ich umgehend zum Segeln nutzte.

028 Um 1400 Uhr passierte ich die Travemünder Hafenmole, und fuhr - jetzt wieder unter Motor- - in die Trave ein. So ruhig das Wetter bisher gewesen war, doch hier kam mir ein heftiger Wind entgegen. Diese gar nicht so breite Wasserfläche zwischen Travemünde und dem Priwall scheint so etwas wie eine Düse zu sein, gegen die man bei westlichen Wind immer heftig anstrampeln muss.

029 Die Böbs-Werft, eben an jener Stelle gelegen, wo das Fahrwasser der Trave einen Schlenker nach Süden macht, liegt bei Westwind unter dem Luv-Ufer. So war es dann dort nicht so schwierig für mich, im Einhand-Modus im Werfthafen anzulegen.

Travemünde, Tag 11

030 Nachdem ich mich bei dem Hafenmeister gemeldet und mein Problem genannt hatte, tauchte doch tatsächlich bald danach ein sehr interessierter "Werftgrandie" auf, der sich sogar reichlich Zeit nahm, meine Bilge und alles in der näheren und weiteren Umgebung davon zu inspizieren. Doch meine Vorstellung, wie vorzugehen sei, um das Leck zu finden und zu stopfen, ließ sein Interesse rasch erlahmen. Zugegeben, bei einer solch unklaren Ausgangslage, die deshalb mit ebenso unklaren Reparaturerfolgsaussichten versehen ist, da konnte ich die Zurückhaltung gut verstehen.

031 Am Ende sagte er, und das schien mir so eine temporäre Abwehr zu sein, man könne zwar das Boot aus dem Wasser heben, die tatsächliche Reparaturarbeit wäre aber wegen Urlaubszeit und Personalmangel frühestens erst in 10 Tagen möglich.

032 Und damit war ich genau so schlau wie vorher, hatte aber keinesfalls die Absicht, hier so viel an Zeit zu vertrödeln, auch wenn Travemünde immer ein lohnenswertes Ziel ist. Ich war frustriert. Aber da gab es noch meinen Freund aus alten Studenten- und Verbindungstagen namens Georgie, der in Lübeck, ganz nahe der Altstadt, sein Domizil hat. Ich rief an und war sofort aufgefordert, ihn zu besuchen.

033 Ich verließ den Werftbereich, enterte einen Bus des Öffentlichen Personennahverkehrs und war schon kurze Zeit später in der Innenstadt von Lübeck, um den Rest des Weges zu Fuß zu erledigen und ganz nebenbei den Flair dieser alten Hansestadt an der Trave zu erleben.

034 Ich will es kurz machen: Mein Besuch war ein voller Erfolg. Höhepunkt war das Abendessen auf der Außen-terrasse eines nahe gelegenen Lokals. Trotz meines Hangs zu Gicht und Gichtanfällen orderte auch ich die Spezialität des Hauses: Spare-Ribbs, heiß und in großer Menge serviert, dazu inhaltlich von außergewöhnlichem Geschmack und eigentlich nur zu genießen mit gut gehopften, schaumgekrönten Getränken von feinherber Note und goldgelber Farbe. Erst spät brachte mich der Bus zurück nach Travemünde.

035 Am nächsten Morgen überdachte ich meine Lage. Für größere Etmale war ich angesichts des jetzt stetig nachströmenden Wassers nicht mehr bereit. Eine Lösung musste her!

036 Die fand ich, als ich direkt neben der Böbs-Werft eine Marina mit Reparaturservice entdeckte, die bereit war, schon eine Woche früher tätig zu werden. Auch dort hatte ich vom recht zugebauten Schwertkasten erzählt, auch dort war man nicht begeistert, aber man sagte mir trotzdem Hilfe zu. Umgehend wurde für 0730 Uhr am kommenden Montagmorgen der Termin festgemacht. Bis dahin sollte ich das Boot nach dorthin verlegt haben. Nur einmal "um den Pudding" fahren, dann wäre es auch schon unter dem Kran bereit zum Auswassern.

037 Nachdem der Termin nun fix war, beschäftigte ich mich erneut mit meinem Bootsproblem, um vielleicht doch noch einen Hinweis auf die Ursache zu bekommen. Denn nur genaue Anweisungen können Wunder bewirken! Und genau auf ein solches Wunder hoffte ich.

038 Um nun ganz sicher zu gehen, ob der operative Eingriff am Holm zwischen Kajüte und Motorbilge notwendig oder vielleicht doch nicht notwendig sein würde, legte ich in mehreren Arbeitsgängen die Bilge so trocken, dass es nun schon einen Moment dauerte, bis die hinlänglich bekannte Quelle am Boden der Bilge wieder sprudelte. In dieser Arbeitsphase legte ich einen langen Streifen von Küchenpapier unter dem Motor aus, von ganz vorne bis zum hinteren Ende der Bilge, das ich von meinem Beobachtungsplatz gar nicht einsehen konnte, und harrte nun der Dinge, die da kommen sollten.

039 Nach einigen Minuten zog ich den Papierstreifen wieder hervor, und, zu meinem riesigen Erstaunen, war er vorne noch trocken, dafür aber am hinteren Ende quatschnass. Nun war mir klar, dass das Leck doch nicht am Schwertkasten, sondern an ganz anderer Stelle zu suchen war.
Und da erst bemerkte ich einen hauchfeinen Streifen, der sich von der Logge bis zur Bilge erstreckte. Hier floss Wasser, wenn auch davon fast nichts zu erkennen war, denn der minimale Ölfilm des Motorraums hatte wohl jene Tropfenbildung verhindert, die das Wasser sichtbar gemacht hätte. Und was war mit der Quelle weiter vorne? Hier konnte es jetzt nur so sein, dass sich das Wasser aus der Bilge in die Farbschichten hineingedrückt hatte und dann, nach erfolgter Trockenlegung, langsam wieder hervorquoll. Darauf muss man erst einmal kommen!

041 Ich stieg in die Achterkajüte und nahm den Niedergang weg, der zugleich den achteren Zugang zum Motorraum verschließt, und untersuchte das Terrain. Tatsächlich, vom Messgerät der Logge, die vor über 40 Jahren hier eingeklebt worden war, floss ein Rinnsal zur Bilge. Ein Versuch, mit einem selbstpolymerisierenden elastischen Band dem Vorgang vorläufig Einhalt zu bieten, schlug allerdings fehl. Es war also doch notwendig, das Boot herauszuheben, um das Leck nachhaltig und technisch zuverlässig zu beseitigen.

042 Das wichtigste aber war, dass ich nun die wirkliche Ursache gefunden hatte und damit nun jede Bohrtätigkeit am Holm, die sich neben aller Zerstörung am Material, auch vom Optischen her überaus verheerend ausgewirkt hätte, nun unterbleiben konnte. Und jetzt konnte ich der Werft einen Schaden anzeigen, der überschaubar und gut zu reparieren war. Ich war total erleichtert!

043 Froh gelaunt ging ich an Land, um einzukaufen und mich gegebenenfalls auch für meine erfolgreiche Recherche in Sachen "Wasser im Boot" zu belohnen. Mit strammem Schritt näherte ich mich dem Zentrum von Travemünde, das von der Werft aus in einiger Entfernung liegt. Und als ich so durch die Gassen schlenderte, fiel mir ein, dass es auch hier in Travemünde einen Crewkameraden mit Namen Udo aus den uralten Marinezeiten giebt, der sich vielleicht freuen würde, von mir besucht zu werden. Einst war er hier als Zahnarzt in eigener Praxis tätig gewesen, oder war er sogar immer noch im Dienst? Ohne genau die Lage der Praxis in Erinnerung zu haben, fand ich sie schnell. Ja, sogar das Praxisschild zeigte ihn hier noch als tätigen Zahnarzt an. Da konnte eigentlich nun nichts mehr schief gehen.

044 Aber nein, er hatte sich doch schon in den Ruhestand begeben, so wurde mir jedenfalls von der Dame am Empfand berichtet. Immerhin wurde ich mit der privaten Telefonnummer so schnell versorgt, dass es mich fast schon ein wenig wunderte, denn ich bekam sie schon, bevor ich überhaupt meinen Namen nennen konnte. Mir gefiel das, denn üblicherweise stellt man sich ja heute ziemlich an mit privaten Daten.

045 Nun denn, ich rief gleich an, aber im Moment hatte Udo keine Zeit für mich. Dafür machten wir ein Treffen im Hafen der Böbs-Werft aus, und zwar bei mir an Bord.

046 Ich hatte mich am Tag darauf schon auf ein 2. Frühstück mit Udo eingerichtet, als das Handy klingelte und das Treffen abgesagt wurde. Das war zwar nicht so schön, aber somit hatte ich den Nachmittag frei, und ich nutzte ihn, um erneut mit dem Bus nach Lübeck zu fahren. Diesmal hatte ich mein altes Netbook dabei, das seinen Geist aufgegeben zu haben schien, doch Freund Georgie nahm sich dessen an und hatte es auch bald wieder betriebsbereit. Da hätte ich mir den Kauf eines neuen Geräts in Kiel glatt sparen können.

047 Als wir danach durch die Stadt zogen, um möglichst asiatisch zu speisen, fiel mir auf, dass sich ein schwach schmerzhaftes Gefühl am

rechten Fuß bemerkbar machte. War da etwa die Einlage verrutscht? So jedenfalls fühlte es sich an, und allein deshalb war es nichts, was mich in irgendeiner Weise beunruhigen konnte.

048 Das Essen war übrigens so sehr asiatisch und deshalb für mich leider ungenießbar, was Georgie bewog, mich nach unserer Rückkehr nach urdeutscher Hausmannsart mit Spiegeleiern, Zwiebeln und Speck zu versorgen. Damit war ich bestens gestärkt für den Abend, der so lange ging, dass ich die Einladung zur Übernachtung gerne annahm. Und wie immer, wenn ich hier bei Georgie war, wurde ich im Gästezimmer einquartiert, hoch oben unter dem Dach dieses noblen Stadthauses aus der Gründerzeit.

049 Am Morgen des nachfolgenden Tages, einem herrlichen Sonntagmorgen, der deshalb erwähnenswert ist, da alle Tage zuvor eher kühl und sehr windig gewesen waren. Doch nun schien die Sonne, sie vertrieb die Wolken, und nun wurden auch die Temperaturen freundlicher. Dies veranlasste mich, auf der Rückfahrt nach Travemünde mit dem Bus einige Stationen weiter zu fahren und erst in Niendorf auszusteigen. Ich wollte mir einen Eindruck von diesem kleinen Ort an der Ostseeküste verschaffen, mir vor allem aber auch den Hafen ansehen, den ich gerne einmal auf eigenem Kiel angelaufen hätte. Doch als ich den Weg am Strand hinter mir hatte und nun endlich dort war, musste ich feststellen, dass selbst für mein kleines Boot kein einziger Liegeplatz mehr frei war.

050 Ich schlenderte am Südufer des langgestreckten Hafens entlang, der sich mir als eine Art Mini-Förde des hier einmündenden Flüsschens Aalbek darstellte, bis zu einem Werftbetrieb am Nordufer, von wo mich der Weg in einen kleinen Wald führte. Hier fand ich eine Bank und ließ mich darauf nieder, denn mein rechter Fuß schmerzte sehr. Wenn das, was ich da spürte, also nun doch ein Gichtanfall auf Grund meines sehr üppigen Spare-Ribs-Genusses sein sollte, so war es doch eher einer der moderateren Art, auch wenn er mich nun doch jetzt beim Gehen behinderte.

051 Die Temperatur des Tages mochten längst die 30 Grad-Marke überschritten haben, aber hier in diesem luftigen Wald, direkt am Strand zur nahen Ostsee gelegen, war es angenehm kühl. Hier konnte ich gut pausieren und dabei ein wenig die Seele baumeln lassen.

052 Am Spätnachmittag, als ich wieder in Travemünde war, verlegte ich mein Boot nach nebenan zur Marina Baltica. Direkt unter dem Kran machte ich fest.

053 Abends, als ich zum Schlaf bereit auf meiner Salonkoje lag, dachte ich über meinen Ausflug nach Niendorf nach. So mancher Gedanke ging mir durch den Kopf, sogar der: War dieser Ort und dessen Hafen die Lokalität der "Käpt´n Konny"-Bücher, die ich als Jugendlicher in den Jahren um 1960 geradezu "verschlungen" hatte. Gut möglich sogar, dass diese Boots- und Segelromane des Autors ULRICI der Grund für meine Segelleidenschaft ist, der ich nun schon seit fast 60 Jahren anhänge. Und genau solange schon beschäftigt mich schon die Frage, an welchem Ort der deutschen Ostseeküste diese Geschichten sich wohl abgespielt haben mochten.

054 War es also der Ort Niendorf, der die Vorlage für das literarische "Hollekrug" bildete, in dem die Seeabenteuer für "Käpt´n Konny" und seine Freunde ihren Anfang nahmen? Gut möglich, dass sie von hier aus zur Segelwettfahrt mit ihrer betagten DIXI gegen den weltberühmten SEETEUFEL antraten. Das Rennen ging damals nach Bodemünde, in dessen Kurhaus der Sieg gefeiert oder die Niederlage betrauert werden sollte.

055 Bei dem Autor ULICI siegte jedenfalls die DIXI, dies aber nur, weil die unerfahrene Crew des SEETEUFELS auf Grund gelaufen war. War demnach das renommierte Seebad Bodemünde der Romanserie in der Wirklichkeit das nicht weniger renommierte Travemünde? War die Sandbank vielleicht jene weit ins Meer hineinragende Untiefe vor dem Brodtener Ufer, die man an Steuerbord lassen muss, wenn man von Niendorf aus unbeschadet in die Trave einsegeln will?

056 Fragen über Fragen, die für mich sicher keine Relevanz hatten, aber die schon mal durch den Kopf gehen können, wenn man auf der Koje liegt und auf den Schlaf wartet.

Travemünde, Tag 15

057 Viel an Vorbereitung war diesmal nicht nötig, denn das SEEKAIBI sollte mit stehendem Mast aus dem Wasser gehoben und an Land aufgepallt werden. Nur die beiden Achterstagen waren zu entfernen. Pünktlich war der Kranfahrer vor Ort, der Kran schwenkte über das Boot, die Tragschlaufen des rechteckigen Spreizgerüstes, das in der Form eigentlich nur für Boote ohne Mast gedacht ist, wurden von achtern unter den Rumpf geführt, dann wurde angehoben. Was bisher noch recht professionell aussah, wurde dann aber schnell zum Vabanquespiel. Das Metallgerüst kratzte am nur noch schwach von den achterlichen Unterwanten gehaltenen Mast und drückte ihn in einer Weise nach vorn, dass ich um Boot und Rigg zu fürchten begann. Doch jetzt noch den Mast legen, das wollte ich nicht.

058 Aber bald schon lag das Boot hoch und trocken auf dem Lagerbock an Land.

059 Der Kranführer war wohl der Mann "für alles" hier, und der war jetzt hocherfreut, dass er nun nicht im unklarem Auftrag mit zweifelhaftem Erfolg an meinem Boot hantieren musste, sondern dass nun eine Arbeit auf ihn wartete, die er "im Schlaf" ausführen konnte. Das Sumlog aus und später, nach Reinigung und Trocknung dieser Rumpfpartie, wieder einzubauen, war jedenfalls kein Problem führ ihn. Für mich, der jeden Handgriff kritisch verfolgte, war es aber doch erstaunlich, wie gewandt sich dieser nicht wirklich schlanke Mann durch die schmale Öffnung am Schott zur Achterkajüte hindurch zwängte und dann doch so professionell im sehr beengten Bereich des hinteren Motorraums arbeitete. Schon um 1500 Uhr war er fertig mit der Arbeit.

060 Eigentlich hätte ich mit dem freien Nachmittag etwas anfangen können, aber ein Treffen mit Udo schien sich erledigt zu haben. Bei einigen Telefonaten, die ich mit ihm geführt hatte, war ich mit merkwürdigen Vorwürfen seitens des Praxispersonals konfrontiert worden. Mit war anfangs völlig unklar, um was es dabei ging, doch dann bemerkte ich, dass es wohl die vorschnelle Herausgabe der Telefonnummer gewesen sein musste, die nun der Grund für diese haltlosen Vorwürfe war. Nun denn, wenn ein Treffen mit Udo deshalb nicht zustande kommen sollte, so würde mich das ganz sicher nicht aus der Bahn werfen, aber schade fände ich es doch, diese günstige Möglichkeit zu einem Wiedersehen so ungenutzt verstreichen lassen zu müssen.

061 Aber auch ein Montagnachmittag in der Marina Baltica bietet Abwechslung. In einem auf dem Boden der Werft befindlichen Restaurant machte ich es mir gemütlich, ließ auf dem Laptop meine Gedanken sichtbar werden, gönnte mir ein Nudelgericht und danach noch einige Tassen Kaffee. Und ganz nebenbei fragte ich nach der Möglichkeit, ob und wie das in nächster Nähe gelegene Schwimmbecken benutzt werden dürfte.

062 Ja, das gar nicht so kleine Schwimmbad war allen Gästen der Marina zur Benutzung offen. Das ließ ich mir nicht zweimal sagen: Schon wenig später genoss ich das kalte Nass, das die heißen Temperaturen des Tages vergessen ließ und zudem Körper und Geist erfrischte. Dann zog ich mich auf das Boot zurück und genoss den Überblick von der Höhe des Lagerbocks.

Travemünde, Tag 16

063 Schon morgens um 0800 Uhr hing das Boot am Kran.

Wieder wurde der Mast, jetzt nur noch von den dafür nicht sehr günstig positionierten Unterwanten gehalten, vom Spreizgerüst nach vorne gedrückt, dass das Vorstag erbärmlich durchhing. Und genau im Moment meiner größten Bedenken spürte ich eine Hand auf meiner Schulter. Ich drehte mich um, es war Udo!

064 Er war also doch noch gekommen, die Verstimmung, die zeitweise geherrscht hatte, war verflogen. Nun sahen wir beide zu, wie mein SEEKAIBI über uns hinwegschwebte und sanft im Wasser landete. Und der Mast stand noch.

065 Das Gespräch mit Udo konnte jetzt nur noch kurz sein, denn er hatte einen weiteren Termin und ich hatte mich nun zügig um mein Boot zu kümmern: Bilgenkontrolle zur Feststellung der Dichtigkeit des Rumpfes!

066 Am Ende unseres Gesprächs übergab mir Udo etliche Seiten bedruckten Papiers. Es war die exakte Voraussage für das Wetter der gesamten Woche. Die konnte ich nun aber wirklich gebrauchen.

067 Wenig später war ich auf dem Wasser, Kurs auslaufend. Der Wind war fast null, trotzdem segelte ich. Der Mast wurde wieder von den beiden Achterstagen gehalten und die Bilge war erfreulicherweise so knochentrocken, wie seit Jahren nicht mehr.

068 Mein Tagesziel war mir noch nicht klar, als ich die Mole passiert hatte und im freien Wasser war. Doch sehr weit würde ich nicht von diesem schwachen Wind aus Südost vorwärts geblasen werden können!

069 Um 1320 Uhr und auf der Höhe von Neustadt fiel die Entscheidung: Abdrehen nach West zum Einlaufen in die Stadt, die jederzeit in der Lage ist, einen angenehmen Aufenthalt zu garantieren.

070 Doch das Wetter war einfach zu ruhig und zu schön, um schon an einen Hafen zu denken. Und in Ansicht der vielen ankernden Boote jeder Art und Größe westlich der sich von Pelzerhaken nach Süden hinziehenden Untiefe, ließ ich den Gedanken an Neustadt fallen. Ich drehte das Boot ein bis knapp unter den Leuchtturm und ließ im Schutze des Riffs den Anker fallen.

071 Erst als das Boot zum Stillstand gekommen war und sich auf der Position eingependelt hatte, bemerkte ich es: hier herrschte das Flair der Karibik!

072 Blauer Himmel, ein Sonnenschein vom Feinsten und ein leicht kühlender Wind, der über das Boot zum nahen Ufer strich, wo ein ausgeprägtes Strandleben stattfand. Überhaupt, es war viel los auf dem Wasser. Es wurde geschwommen, gesegelt und gepaddelt, und immer wieder rauschten Speedboote vorbei, die Wasserskifahrer und andere Wasserenthusiasten am Haken hatten. Ich war also ganz überraschend in dem sehr frequentierten Feriengebiet von Pelzerhaken gelandet. Da machte ich es mir nun auch gemütlich in der Plicht und genoss den Nachmittag unter dem Sonnensegel.

073 Doch als der Tag sich langsam zum Ende neigte, kam Bewegung unter die Ankerlieger. Ein Boot nach dem anderen nahm das Eisen hoch und verschwand, entweder nach Norden in Richtung Grömitz oder nach Westen in Richtung Neustadt.

074 Und dann bemerkte ich es auch: Der Wind hatte gedreht und war stärker geworden. Nun lag ich auf Legerwall, und dort über Nacht liegen zu bleiben wäre sträflicher Leichtsinn gewesen. Also ging auch ich ankerauf und segelte in Richtung Neustadt ab.

075 Um 1930 Uhr lag ich fest und gut gesichert in Rundhafen des Seglervereins, und zwar rechtzeitig genug, um das Hafengeld zu bezahlen und im kleinen Lokal des Clubs ein kühles Bier zu mir zu nehmen.

Neustadt/SH, Tag 17

076 Eigentlich hatte ich geplant, mit dem jetzt südwestlichen Wind nach Kühlungsborn zu segeln. Der Wind war frisch genug, aber der Wetterbericht meldete eine Temperatur von mindestens 38° Celsius im Schatten für den Tag an. Das war mir dann doch zuviel an Hitze, um stundenlang in der prallen Sonne auf dem Wasser zu sein. Da machte ich doch lieber einen morgendlichen Marsch durch die Stadt und blieb danach im Hafen.

077 Am späten Nachmittag war es dann soweit. Selbst unter der Plichtpersenning, die an beiden Seiten so weit offen war, dass eine kühlende Brise hindurchstrich, zeigte mein Bootsthermometer den Wert von 39 Grad an!

078 Allerdings nur für eine Stunde, dann war die Hitzeblase über Neustadt hinweg und die Temperaturen sanken auf normalsommerliche Werte zurück. Ich jedoch machte das Beste aus der Situation, verließ mit Handtuch und Badehose den Rundhafen, um jenseits der Heckenrosen am nur wenige Meter entfernten Strand ein Bad in den Fluten der Ostsee zu nehmen.

Neustadt/SH, Tag 19

079 Hitze war gestern! Heute wehte eine kühle Brise aus West, die mich zum baldigen Auslaufen veranlasste. Noch war ich mir nicht klar, wohin der Wind mich blasen sollte, aber erst einmal ging der Kurs nach Verlassen der Bucht nach Nord.

080 Um 1250 Uhr peilte Grömitz in West. Das Boot machte unter der Genua eine gute Fahrt, denn unter der Leeküste von Ostholstein blieben die Wellen moderat. Etwa um 1355 Uhr passierte ich das Riff "Schwarzer Grund" und nun zerrten Böen von bis zu 8 BF am Segel und rüttelten das Boot kräftig durch.

081 Jetzt musste gerefft werden. Der Druck im Segel wurde weniger und nun konnte ich auch höher an den Wind gehen. Und unter den Bedingungen dieses Wetters wurde mir auch schnell mein Tagesziel klar: Ein Hafen im Binnensee von Großenbrode!

082 Von Süden kommend und ganz dicht unter Land fuhr ich in die schmale Rinne der Zufahrt ein. Vor 25 Jahre war ich hier zum letzten Male gewesen, und damals war es ein Boot, dass nur wenig Tiefgang hatte. Doch nun musste ich mir den genauen Überblick auf der Seekarte verschaffen und auf die Tonnen der Ansteuerung achten. <

083 Den ersten Hafen, nun an Steuerbord nachdem ich auf Westkurs gegangen war, wollte ich nicht anlaufen, denn dort fuhr der Wind zwischen die festgemachten Boote und ließ sie in den Leinen tanzen. Da fuhr ich unter lieber unter Motor weiter nach Westen, denn der dortige Hafen lag, für Einhandsegler gut und sicher, in Luv.

084 Um 1620 Uhr steuerte ich gegen den strammen Wind durch die Molenköpfe. Hilfreiche Hände waren da, um meine Leinen am Fingerausleger des Schwimmstegs zu belegen. Alles klappte gut, trotz des Windes, der durch den Hafen fegte.

085 Eigentlich hätte es nun einer schöner Abend im sicheren Hafen sein können, zumal es an Land sogar eine kleine Gastronomie gab. Doch es kam anders, ganz anders:

086 Beim Versuch, vom hohen Bugspriet meines Bootes auf die tiefliegende Pier zu steigen, musste ich einen weiten Ausfallschritt tun, um dort sicher anzukommen. Doch mitten in dieser Aktion und noch halbwegs in der Luft hängend, sprang mich ein wahnsinniger Schmerz an. Am rechten Fuß, dem Gichtfuß, hatte ich das Gefühl, dass mir ein Messer hineingestoßen würde. Der Schmerz war so stark, dass mir, inzwischen auf der Pier angekommen, der Gedanke durch den Kopf schoss: Lass dich bloß rechtzeitig fallen, bevor dir schwarz wird vor den Augen und du unkontrolliert "zu Bach" gehst!

087 So tat ich es, ließ mich längelang auf die Pier fallen und lag bestimmt ganze 5 Minuten so da, bis ich wieder bei klarem Verstand war. So stark der Schmerz jetzt war, da war an Landgang nicht mehr zu denken. Nur mühsam kletterte ich an Bord zurück!

088 Was war passiert? Nach Lage der Dinge konnte es sich nur um einen Bänderriss an einem Sehnenband handeln, das bereits von der Gicht geschwächt war. Im Nu war der Fuß dick angeschwollen. Und das, was jetzt notwendig wurde, waren kalte Umschläge und Ibuprofen aus der Bordapotheke!

Großenbroder Binnensee, Tag 20

089 Was war das denn gestern gewesen? Ein Ausfallschritt, wie ich ihn schon hundertfach hatte machen müssen, konnte doch unter normalen Umständen niemals solche Folgen haben. Möglicherweise lag die Ursache dieser Blessur an der vorausgegangenen und immer noch vorhandenen Gicht. Oder waren etwa die Bauteile meines jetzt schon 75-jährigen Körpers inzwischen zu morsch geworden?

089 Wie auch immer, an ein Fortkommen auf eigenen Füßen war jetzt nicht mehr zu denken, ich lag nach wie vor auf meiner Salonkoje und pflegte den Knöchel. Immerhin war die Schwellung ziemlich zurückgegangen, und die Schmerzen waren erträglich.

090 Draußen heulte der kalte Westwind durch den Hafen, und in den Riggs der Segelboote schlugen die Leinen mit Macht an die Masten, dass es in allen Tonlagen klirrte. Unter diesen Bedingungen, und dies war das einzig Erfreuliche, wäre ich ganz sicher nicht ausgelaufen! Da verpasste ich also nichts!

091 So lag ich nun Stunde für Stunde auf der Koje und sann über so manches nach. Im Radio kam mal wieder nichts, was für mich von Interesse war, so spielte ich aus lauter Verzweiflung an meinem Handy herum.

092 Es wird wohl Zufall gewesen sein, doch plötzlich hatte ich die Musik von Ditters von Dittersdorf im Ohr, jenes Musikers der Wiener Klassik, den ich nur dem Namen nach kannte. Doch das, was über die Ohrhörer zu € 4,50 in meinen Gehörgängen ankam, war phänomenal. Völlig hingerissen lauschte ich diesen Klängen, während der Wind an meinem Boot rüttelte.

Großenbroder Binnensee, Tag 21

093 Heute ging es mir besser. Ich hatte ausgeschlafen, auch dem Fuß ging es etwas besser. Selbstredend waren noch Schmerzen im System, aber die waren auszuhalten.

094 Ohne die Gelegenheit gehabt zu haben, das Hafengeld zu bezahlen, lief ich bereits um 0630 Uhr aus. Der Wind hatte eine Pause genommen, die Sonne schien, es war etwas wärmer geworden.

095 Draußen auf der Ostsee empfing mich ein strahlender Tag. Die Maschine lief, der Kurs ging nach Nordost, und der Wind war so schwach, dass das Segel wirkungslos gewesen wäre.

096 Um 0715 Uhr war ich an der Tonne 15 des Fahrwassers Fehmarnsund und ging auf Westkurs. Meine Idee war nun, in die Kieler Förde zu gelangen, um einen Termin wahrzunehmen, den ich schon viel zu oft hatte ausfallen lassen müssen. Da südlicher Wind angesagt war, sollte eine schöne Segelfahrt nach dorthin möglich sein.

097 Doch, was dann kam, war weit mehr als das. Das sonst so störende Schießgebiet der Bundeswehr war immer noch offen, und der Südwind, der sich lange zurückgehalten hatte, begann nun sein Tagewerk.

098 Die Genua zog gut, aber mein Blister, ein fröhlich buntes Leichtwindsegel von einiger Größe, das ich bald danach und an dessen Stelle setzte, zog deutlich mehr. Zwar drehte der Wind etwas zurück, sodass ich das Vorliek sehr offen fahren musste, dennoch rauschte ich mit voller Fahrt nach West!

099 Was soll ich sagen, dieser Moment war der Höhepunkt meiner Segelfahrt. Der Wind stand so prall im Segel, sodass ich es auch dann nicht wegnahm, als der Wind noch weiter in Richtung Südwest drehte. Erst ganz kurz vor dem Leuchtturm Kiel nahm ich den "bunten Lappen" herunter, was wieder einmal äußerst anstrengend war, und lief danach, jetzt unter Motor, nach Süd. Um 1720 Uhr lag ich fest im Hafen von Laboe.

100 Im Grunde hätte ich an dieser Pier längsseits liegen bleiben können, aber der Schwell war auflandig, was mir nicht so recht gefiel. Dazu tauchte plötzlich ein Mann auf, der mir so nachdrücklich einen freien Liegeplatz an einer weiter innen liegenden Pier anpries, dass ich das Boot - und dies sogar unter dessen tätiger Mithilfe - nach dorthin verlegte. Und das war noch nicht alles, denn dieser Mann, ein Nürnberger und der Eigner eines hier liegenden Bootes, bot mir sogar ein warmes Essen an. Da sagte ich nicht nein, und kurze Zeit später saß er bei mir in der Plicht, servierte mir ein recht wohlschmeckendes Nudelgericht in einer Plastikmuck und labte sich an einem Bier, das ich ihm dafür gerne spendiert hatte.

101 Das Gespräch, das sich danach entwickelte, zeigte mir an, dass dieser Nürnberger zwar ein ordentlich seetüchtiges Boot sein Eigen nannte, aber vom Segeln selbst nur wenig verstand. Doch da konnte ich behilflich sein!

102 Rückblickend kann ich sagen: Das war nun wirklich einmal ein schneidiger Ritt gewesen. Fast 50 Seemeilen lagen hinter mir und während der ganzen Zeit hatte ich, trotz aller "action" an Bord, von meinem lädierten Fuß kaum etwas bemerkt!

Laboe, Tag 22

103 Dass mein Fuß dennoch nicht ganz belastbar war, das merkte ich schon auf dem kurzen Weg über die Stege des Hafens auf dem Weg zu "Britt". Diese kleine Holzbude im Hafenvorfeld, von einer Frau dieses schönen Namens betrieben, nutzte ich, um auf einfache und unkomplizierte Weise das Frühstück einzunehmen. Das Brötchen war ganz gut, der Kaffee dünn, aber die Lektüre der Morgenzeitung machte das wett.

104 Danach nahm ich noch einmal die 9 € - Regelung im Öffentlichen Personennahverkehrs in Anspruch. Ich nahm den Bus nach Kiel und nahm pünktlich an der besagten Versammlung teil. Mein Eindruck hierzu war: Den Tag so genutzt zu haben, war richtig und wichtig!

Laboe, Tag 23

105 Das Wetter schien zu machen, was es will. Gestern früh war es kühl gewesen, über Mittag dann schwül und warm und am Ende windig und kalt. Über Nacht hatte der Wind auf Ost gedreht und blies nun mit 7 Windstärken über die Förde. Wieder einmal war das Endziel meiner Reise der kleine Hafen Süderstapel an der Eider. Doch bei soviel Gegenwind auf dem Nord-Ostsee-Kanal unterwegs zu sein, ist weder sinnvoll noch zwingend.

106 So nutzte ich diesen Tag zu einer Dampferfahrt nach Kiel, kümmerte mich um das Haus der Verbindung, nahm einen weiteren Dampfer und landete zuletzt am Kieler Ostufer. Nach einem Fußmarsch, den mein Fuß gerade so aushielt, war ich zu Besuch bei den Freunden in Schönkirchen, wo ich hervorragend verköstigt wurde. Erst um Mitternacht war ich an Bord zurück.

Laboe, Tag 24

107 Nun war es amtlich, der Wind war so stark, dass die Fahrt nach West noch viel weniger sinnvoll war. Da blieb mir jetzt nur noch ein langer Spaziergang durch den Ort und durch dessen nähere Umgebung. Zwar schmerzte der Fuß bei jedem Schritt, aber davon wollte ich mich nicht behindern lassen. Alles kann man dem "Flunken" ja nicht durchgehen lassen!

108 Inzwischen hatte ich auch Kontakt mit dem Hafenmeister von Großenbrode gehabt, mein Hafengeld konnte ich auch per Überweisung erledigen. Also: Alles im Lot auf dem schwankenden Boot!

Laboe, Tag 25

108 Ein nennenswerter Wind war an diesem Morgen gar nicht vorhanden. Jetzt hätte es losgehen können. Aber beim Morgenkaffee fiel mir auf: So eilig habe ich es doch gar nicht! Um 1100 Uhr legte ich ab. Mit der gemütlichsten Fahrt, die überhaupt möglich ist, erreichte ich gegen 1230 Uhr den Wiker Segelhafen, in dem ich festmachte. Hilfreich beim Anlegen war ein emeritierter Marineoffizier, der gerade dabei war, sein Boot zum Verkauf klarzumachen.

109 So sieht also das Ende eines Seglerlebens aus!

110 Der Höhepunkt dieser Fahrt war übrigens die Begegnung mit einem Schweinswal, der sich vor den Holtenauer Schleusen herumtrieb.

111 Die Chancen, sich in Kiel-Wik mit Lebensmitteln und Kraftstoff zu versorgen, sind gut, also nutzte ich sie. Auf dem Weg zurück zum Boot hatte ich vom Hafensteg aus die seltene Gelegenheit, dem Ausbildungsbetrieb auf der kaum 200 Meter entfernt liegenden GORCH FOCK zuzusehen. Die Probanden kraxelten dermaßen langsam in den Wanten herum, dass ich schon dachte, sie wollten sich unterwegs die Schuhe besohlen lassen.

Kiel-Wik, Tag 26

112 Die Fahrt nach Süderstapel, die ich um Punkt 1200 Uhr antrat, war eigentlich so wie immer, wenn es gut läuft. Anders war nur, dass ich Station in Rendsburg machte, wo Gisela, die ehelich Angetraute, mich sehnlichst auf der Pier erwartete, um in einem ordentlichen Restaurant meine bis jetzt noch halbwegs gut gelungene Segelfahrt zu feiern. Da saßen wir dann in jenem Lokal am Ufer des Nord-Ostsee-Kanals,

das in unserer Marine-Crew von früheren Zusammenkünften bestens bekannt ist, speisten vom Feinsten und genossen dabei Getränke, hergestellt nach der weltweit berühmten Flensburger Braukunst, während direkt vor uns Schiffe aller Sorten und Größen in beiderlei Richtung unterwegs waren. Da schmeckt das Essen doppelt gut.

113 Die Weiterfahrt am nächsten Tag war unspektakulär, sie endete jedoch auf einem Ankerplatz in der Eider, wo ich besonders gerne die Nacht verbringe. Erst am 28. Tag meiner Reise, genau um 1210 Uhr, legte ich in Süderstapel an. Ohne Schaden genommen zu haben und mit einer Bilge, die weit trockener war als die Wüste Sahara zur Mittagszeit.

114 Also: Alles im Lot auf dem schwankenden Boot!
P.S.:

115 Mindestens vier Wochen sollte das Boot hier liegen bleiben, bis es wieder zur Schlei überführt werden sollte. Manche Badefahrt bot sich an, aber das größte Event war ein Dreitagestörn auf der Eider mit meinem Bruder bei absolut traumhaftem Sommerwetter, als wir östlich von Tielen den Anker warfen. Es folgten diverse Badegänge in dem wohltemperierten Fluss, ein sehr gelungenes Abendessen unter freiem Himmel und danach ein Sonnenuntergang, der in höchstem Maße überzeugend war. Ich sage es ja immer wieder:
Die Karibik kann auch mitten in Deutschland sein. Zumindest von Fall zu Fall!.
© 2022 by Roland Blatt