Die Fahrt nach Swinemünde und rund Usedom
Sommer 2019

Roland Blatt 2019
In der Folge nun die Fotos die ich hier im Fundus rumliegen, also gespeichert habe, alle!



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Tag 1

Fotos: Breite variabel, Höhe fix bei 293 wenn seitlich angeordnet, bei Doppelbildern: 425 x 293
001  Süderstapel: Nachmittags an Bord meines Bootes SEEKAIBI, einem fast 40 Jahre alten Boot vom Typ Neptun 27 A, der Variante mit Heckkajüte, Mittelplicht und zusätzlicher Radsteuerung, dazu mit einem wenig tiefgehenden Langkiel mit Schwert, aber mit einem kräftigen 24 PS-Dieselmotor versehen. Der Mast ist mit 8,30 Metern recht kurz geraten, dazu habe ich auf die Groß verzichtet. Zum Einen, weil die Genua ohnehin das deutlich größere Segel ist, zum Anderen, weil es beim Einhandsegeln von großem Vorteil ist, wenn das Rigg dank der Rollreffanlage komplett von der Plicht aus bedient werden kann. Und sollte es zu einer Binnenfahrt mit gelegtem Mast kommen, dann wären Baum und Groß nur ein weiterer Störfaktor an Deck.

002  1600 Uhr: Die Leinen werden losgeworfen, bei bedecktem Himmel und Schwachwind aus SO starte ich eideraufwärts. Abends bin ich auf dem Liegeplatz von Hohner Fähre. Kein Mensch weit und breit, die Stille ist beeindruckend.

Tag 2

003  Hohner Fähre: Die Weiterfahrt führt mich über eine morgendlich vollkommen stille Eider zur Brücke Pahlen, die sogleich öffnet, dann weiter über die Lexfahre-Schleuse und die Gieselau-Schleuse zum Nord-Ostsee-Kanal, danach Revierfahrt Ost mit 5 Knoten. Nach dem Durchschleusen zur Kieler Förde bin ich abends in Holtenau.

Tag 3

004  Kiel-Holtenau: Nach einer Treibstoffübernahme in Strande geht das Segel hoch, es folgt eine flotte Überfahrt nach Fehmarn, diesmal durch das Schießgebiet, da nicht geschossen wird. Nur wenige Meter hinter der Sund-Brücke steuere ich den Yachthafen der Schaich-Werft an.

Tag 4, ein Sonntag, Fehmarn

005  Bei trübem Wetter lege ich ab und gehe auf Ostkurs. Als der Wind zu schwach wird, muss der Motor ran. Das Segel bleibt jedoch oben bis kurz vor Kühlungsborn, das ich um 1800 Uhr erreiche.

Tag 5, Kühlungsborn

006  Hafenliegetag. Ausgedehnte Spaziermärsche, Frühstück im Ort, nachmittags kommt Freund Just aus Rostock zu Besuch an Bord, mit dem ich abends an der belebten Hafenpromenade einen Imbiss einnehme. Es ist immer schön, in Kühlungsborn zu sein.

Tag 6, Kühlungsborn

007  Bedeckt und kühl, Starkwind aus Nord, der es mir nicht erlaubt, auf direktem Wege Darßer Ort zu erreichen. In Rauschefahrt geht es bei halbem Wind nach Warnemünde, dann im Yachthafen Hohe Düne, wo ich ein heikles Einhand-Anlegemanöver ohne jede Hilfe zu bewältigen habe. Um so schöner ist danach der Rundgang durch die Stadt, die voller gut gelaunter Menschen ist. Das bedeutet 2x mit der Fähre über die Warnow für je 1,50 Euro.

008  Just, der mich gestern noch an Bord besucht hat, hat heute keine Zeit, ein fest geplantes Abendprogramm muss leider entfallen. Bevor ich an Bord zurückkehre, schlendere ich über die Stege und sehe mir die Boote an. Dabei fällt mir eine "Cornish Crabber 24" auf, die auch in unserem Club gefahren wird. Man kommt ins Gespräch, ich werde an Bord gebeten und bei einem Bier werden die Identitäten ausgetauscht. Überraschenderweise handelt sich um zwei pensionierte Marineoffiziere, die mit diesem kleinen Boot auf der Rückfahrt von Rügen sind. Auch ich gebe mich als ehemaliger Mariner zu erkennen, und siehe da, fast alle meine Crewkameraden aus dieser Zeit, mit denen ich heute noch in Kontakt stehe, sind bekannt. So klein kann die Welt sein!

Tag 7, Warnemünde

009  Wegen der notwendigen Abmeldung beim Hafenmeister erst um 0850 Uhr in Fahrt. Die Maschine läuft, da der jetzt nur noch schwache Wind immer noch aus Nord weht. Auf dem Kurs zum Darßer Ort passiere ich immer wieder einzelne Nebelfelder, bis die Sonne gegen Mittag die Oberhand gewinnt. Um 1300 Uhr peile ich den Leuchtturm Darß im Süden, neuer Kurs Ost unter Segel. Mit gelegentlicher Motorunterstützung erreiche ich um 1900 Uhr das Hiddensee-Fahrwasser. Um 2030 Uhr bin ich im voll besetzten Hafen von Vitte fest am Dalben, notgedrungen und ohne Landverbindung. Ich blase mein Badeboot auf, lasse es zu Wasser und paddele an Land. Tatsächlich kann ich noch am innersten Steg eine Lücke finden, die sich mit etwas gutem Willen zum Liegeplatz verwenden lässt. Aber es dauert, bis ich zurück bin und dort festgemacht habe. Es hat eben auch Vorteile, ein kleines Boot zu haben!

010  Ich persönlich finde Hiddensee immer wieder traumhaft, noch an diesem Abend mache ich einen ersten Spaziergang durch den kleinen Ort bis zum Strand an der Westseite. Alles ist hier still und ruhig, einige Laternen weisen mir den Weg durch die warme Sommernacht.

Tag 8, Vitte, Hiddensee

011  Hafenliegetag. Morgens zum Frühstück in den Ort, der Besuch beim Kaufmann ist Pflicht. Nachmittags zu Fuß zum Dornbusch und zum Leuchtturm, auch das ist Pflicht und wie immer mit einer herrlichen Aussicht über die Insel verbunden. Zügig zurück marschiert, denn am Abend steht noch ein Termin an: Besuch der SEEBÜHNE, dem kleinen nur 50 Besucher fassenden Inseltheater, das nur Einpersonen-Stücke spielt. Zuvor ein Glas Wein, vom Herrn Schauspieler höchstpersönlich gereicht, dann legt er los, vor - wie fast immer - voll besetztem Haus. Diesmal wird "Robinson Crusoe" gegeben. Wieder eine ganz faszinierende Performance, die mit viel Beifall belohnt wird.

012  Ich habe WhatsApp-Kontakt mit meinen Wismarer Segelfreunden Jürgen und Ilona, die auf der Rückfahrt von Helsinki sind. Eigentlich war abgemacht, dass wir uns zu einem Grillabend hier auf Hiddensee treffen. Aber das wird nichts, denn sie liegen mit ihrer Bavaria 34 namens BLUE PEARL im östlichen Strelasund vor Anker und wollen so schnell wie möglich nach Hause, denn die Skipperfrau Ilona hat akute Herzbeschwerden, die am kommenden Montag in Wismar untersucht werden sollen. Ich rufe an, was jetzt endlich einmal funktioniert, und erfahre Näheres. So wie es sich anhört, halte ich einen Herzinfarkt für möglich, zumindest aber für sehr bald bevorstehend. Da ist mir persönlich eine 4-tägige Verzögerung auf dem Weg zum Hausarzt, der sicher kein Facharzt ist, viel zu risikoreich. Mein dringendster Rat ist: Sofort Stralsund anlaufen und hin zur Notaufnahme des örtlichen Krankenhauses! Und: Bitte ohne Verzug!

013  So geschieht es, schon um 0600 Uhr des nächsten Tages geht man ankerauf und nimmt Kurs auf Stralsund. Das Taxi, vom Hafenmeister bestellt, wartet schon auf der Pier, bereits um 1000 Uhr ist die Patientin in der Klinik und wird medikamentös versorgt.

014  Mit "Herz" ist nun einmal nicht zu spaßen, denn man hat nur eins. Da kann eine Verzögerung von vier Tagen schon den Unterschied machen zwischen Leben und Tod. Einen solch tragisch verlaufenen Fall musste ich erst vor kurzem im erweiterten Freundeskreis erleben. Das Treffen mit der BLUE PEARL wird also in Stralsund stattfinden.

Tag 9, Vitte, Hiddensee
015

Schon früh um 0700 Uhr laufe ich aus, warmes Wetter, kein Wind, Maschinenfahrt.Mittags bin ich in Stralsund, wo ich, wie mit Jürgen vereinbart, direkt neben der BLUE PEARL im Stadthafen anlegen kann.

Nachmittags sind wir im Krankenhaus und besuchen Ilona, die trotz der schon bei geringster Belastung auftretender Schmerzattacken in der Brust, einen recht vergnügten Eindruck macht. Abends bin ich bei Jürgen an Bord zum rustikalen Abendessen mit Klönschnack. Die Anspannung ist einer gelösteren Stimmung gewichen.


Tag 10, Stralsund

016 Gutes Wetter, aber mit Grillen wird es nichts auf Grund der Umstände: Wieder bin ich mit dem Skipper zu Besuch im Krankenhaus, danach komme ich endlich zu meinem ausgedehnten Rundgang durch die wunderschöne und gut restaurierte Stadt: Es ist Samstag, viele Menschen sind unterwegs, Straßenmusikanten sorgen für gute Laune. Abends, nach einem erneuten Krankenbesuch, sind Jürgen und ich beim "Italiener" am Hafen, danach zum spätabendlichen Absacker auf meinem Boot unter der Plichtpersenning. Und für Ilona hoffen wir nur das Beste!
Tag 11, ein Sonntag, Stralsund

017  Noch einen Tag hier zu verbringen, zumal es Sonntag ist, sagt mir nicht zu. Ich muss auch auf den Wind achten, der jetzt noch frisch aus West bläst, aber bald auf Ost drehen wird. Um 1220 Uhr passiere ich die Ziegelgraben-Brücke, die Stralsund mit den beiden Inseln Rügen und Dänholm verbindet. Der Wind aus West wird stärker, die Fahrt immer flotter. Auf dem Greifswalder Bodden zeigt das SEEKAIBI, was es kann. Ich denke schon ans Reffen, aber da ist das Usedomer Fahrwasser bereits voraus. Ich drehe nach Steuerbord ein und danach in den Peenestrom, unter Land wird es etwas ruhiger. Eigentlich könnte ich jetzt den Wind nutzen und bis Wolgast weiter segeln, aber ich habe andere Pläne. Um 1830 Uhr und bei beginnender Dämmerung liegt das Boot sicher im Nordhafen von Peenemünde.


Tag 12, Montag, Peenemünde

018  Früh zum Hafenmeister, der nicht nur gern meinen Obolus entgegen nimmt, sondern mir schnell gegen kleines Geld noch einen Kaffee kocht und zwei Brötchen aufbackt. Er ist übrigens, wie er sagt, "Mädchen für alles" , also auch zuständig für die hier stehenden Wohnmobile. Das scheint der neue Trend zu sein, Boote und WoMos unter einem Hut ...

019  Gut gestärkt marschiere ich danach durch Usedoms Wälder bis nach Peenemünde zu den Relikten aus vergangener Zeit. Ich fühle mich in dem Raketenmuseum ein wenig erinnert an den Film: "James Bond jagt Dr. No". Ausgedehnter Rundgang, alles sehr interessant.

020  Doch schon um 1415 Uhr bin ich wieder in Fahrt. Bei kühlem, jetzt regnerischem Wetter erreiche ich drei Stunden später Wolgast. Zu einem kleinen Rundgang durch die Stadt reicht es noch, bis der Regen kommt, der die ganze Nacht anhält. Es wird sehr kühl. Was ist mit Ilona? Man hört gar nichts! Ist das jetzt ein gutes oder eher ein schlechtes Zeichen?

Tag 13, Montag, Wolgast

021  Um 0755 Uhr durch die Brücke, dann erreicht mich der erlösende Anruf: Ilona geht es wieder gut! Die kardiologische Untersuchung hatte ergeben, dass eine Herzarterie bereits zu 95 Prozent verschlossen war, ein Herzinfarkt stand kurz bevor. Das war also sehr knapp! Doch nun hat sie mehrere Stents an besagter Stelle und vorläufig ist alles wieder in Ordnung. Morgen soll sie entlassen werden und kann die Heimkehr nach Wismar wie geplant mit der BLUE PEARL antreten. Mit ärztlicher Erlaubnis, aber mit dem Hinweis auf Schonung.

022  Ein leichter Wind steht im Segel und treibt das Boot auf dem Peenestrom voran in östlicher Richtung. Die Gegend erinnert mich stellenweise an die Schlei. Dann weicht an Backbord das Land zurück und öffnet sich zum Achterwasser. Letztes Jahr bin ich hier eingefahren und habe die Insel Usedom an einer ihrer schmalsten und schönsten Stellen erlebt. Diesmal aber bleibe ich im Fahrwasser, das nun immer enger und flacher wird.

023  Der Wind wird schwächer, bei so wenig Fahrt werde ich es nicht schaffen, rechtzeitig die Klappbrücke von Zecherin zu erreichen. Also muss die Maschine helfen, und in Motorfahrt wird dieses Nadelöhr, vor dem sich viele Yachten stauen, passiert, kurz danach die Mündung des Peene-Flusses. Wenig später geht es ins Oderhaff, vorbei an den zwar imposanten, aber auch schaurig aussehenden Resten der kriegszerstörten Eisenbahnbrücke von Karnin. Letztes Jahr herrschte hier ein unberechenbarer Starkwind, jetzt aber ist das Wasser glatt wie ein Ententeich. Auch das Wetter hat sich geändert, es herrscht Windstille und die Temperatur ist innerhalb von wenigen Minuten um 15 Grad gestiegen. Sahara-Klima!

024  Um 1545 Uhr Einlaufen in die schmale, von Bäumen gesäumte, aber solide befestigte Ückermündung, eine halbe Stunde später liegt das Boot im Stadthafen von Ückermünde. Es folgt ein erster Rundgang bei drückender Hitze durch die hübsche und wohlrenovierte kleine Stadt. Doch ich brauche dringend Sprit, dann also los, auf zur entfernt gelegenen Tankstelle! Hin geht es ja noch, aber zurück, mit den gefüllten Kanistern „auf dem Ast“, ist es ein absolut schweißtreibendes Unterfangen. In der Kühle des Abends durchstreife ich ein weiteres Mal die Gassen des Ortes. Trotzdem bin ich wieder völlig verschwitzt, doch die Hafen-Duschen sind verschlossen. So verklebt, wie ich bin, kann mich das gut besuchte Musikfest auf dem Marktplatz nicht locken, zumal mir unter Verwendung des Landstroms nun auch an Bord ein eiskaltes Bier aus meinem Mini-Getränkekühler zur Verfügung steht.

Tag 14, Dienstag, Ückermünde

025  Es ist immer noch brütend heiß, vor allem wenn die Sonne scheint, und das tut sie durchgängig seit den frühesten Morgenstunden. Ab 0650 Uhr fahre ich die „Ücker“ hinab, die übrigens in Brandenburg „Ucker“ heißt und der Namensgeber der Uckermark ist, vorbei an vielen Segelbooten an Backbord und der künstlichen Lagunenstadt an Steuerbord. Dann bin ich auf dem Kleinen Stettiner Haff, Kurs Ost. Lähmende Hitze, kein Wind, keine Welle. Sogar die polnische Gastflagge hängt schlaff unter der Saling. Um 1000 Uhr steuere ich ein in die Kaiserfahrt, jetzt aber nach Backbord, Kurs Nord. Diese 12 Kilometer lange Wasserstraße war unter dem deutschen Kaiser Wilhelm I. im Jahr 1880 auch für die Großschifffahrt befahrbar gemacht worden, und damit wurde Stettin zum bedeutenden Ostseehafen und Umschlagplatz für die Berliner Industrie. Im Jahr zuvor war ich hier noch nach Süden abgebogen, um mit gelegtem Mast über Berlin, Brandenburg, Wolfsburg und Hamburg zurück in heimatnahe Gewässer zu gelangen. Diesmal also nach Swinemünde.

026  Nur wenig später habe ich Usedom zur Linken und Wolin zur Rechten. Swinemünde kommt Backbord voraus in Sicht – Plattenbauten, wohin man sieht, an Steuerbord Hafenanlagen und große Fährschiffe. Nördlich der Stadt, fast am Ende der Kaiserfahrt, laufe ich in den nagelneuen, von der EU bezahlten Yachthafen ein. Ich mache ganz außen an der Kaimauer fest, wo auch schon einige andere deutsche Yachten liegen.

027  Die Sonne brennt gnadenlos, meine Plichtpersenning ist gleichzeitig Sonnenschutz und Windfänger für den minimalen, aber kühlenden Nordwind. Trotzdem ist es unerträglich heiß, gut ist jedoch, dass mir mein Elektro-Getränkekühler dank Landstrom erneut eiskaltes Bier und ebenso kaltes Mineralwasser zur Verfügung stellen kann..

028  Gemäß der Informationen, die mir vorliegen, hat Swinemünde nicht viel zu bieten, da ist wohl bei den schweren Kämpfen in den letzten Monaten des 2. Weltkrieges kaum ein Stein auf dem anderen geblieben. Diese Erkenntnis und die drückende Hitze lassen meinen Tatendrang bald erlahmen, es reicht nur noch für einen Marsch durch den Hafen und zu einem Abstecher zum gut erhaltenen preußischen Fort, das 1854 zum Schutz der Swinemündung erbaut worden war. Engelsburg hieß das immer noch sehr interessante Festungsbauwerk zu deutscher Zeit.

Tag 15, Mittwoch, Swinwemünde

029  0430 Uhr Auslaufen. Noch ist es dunkel, aber im Morgengrauen bin ich auf der Ostsee, Kurs nach West unter Segel. Die Sonne geht steuerbordachteraus auf und danach geht es in flotter Fahrt vorbei an den Stränden Usedoms, vorbei an der kleinen Insel Greifswalder Oie, und voraus grüßen Rügens weiße Klippen. Abends bin ich in Sassnitz, nach einem über 12-stündigen Segelschlag. Da habe ich mir eine ordentliche Portion von Spagetti Aglio Olio nebst einem kühlen Bier auf der weitläufigen Terrasse des Hafenrestaurants verdient.

Tag 16, Donnerstag, Sassnitz

030  Hafentag in einer Stadt, die sich von ihrer besten Seite zeigt. Alles ist gut in Schuss und sehr sehenswert, vor allem die vielen großen weißen Häuser im Baustil der sogenannten "Bäderarchitektur". Es ist immer noch heiß, aber unter den hohen Bäumen des nahegelegenen Waldes finde ich Abkühlung. Das ermöglicht mir einen ausgedehnten Marsch unter dem dichten Blätterdach hindurch bis zu den Wissower Klinken. Mein Blick aus großer Höhe erfasst auch die Blaualgen im Wasser, die sich in langen grün-gelblichen Streifen von Dänemark herüber ziehen. Ich hatte bisher nur im begrenzten Bereich zwischen Darß und Hiddensee etwas davon bemerkt.

031  Der Rückweg aus dem Waldgebiet führt mich zur Sassnitzer Seepromenade, eben nördlich des Hafens. Im Schatten der Sonnenschirme und einiger Bäume und direkt am Ufer nippe ich an meinem Eiskaffee und gönne meinen Augen die freie Sicht auf die See. Was für ein Blick! Was für ein beeindruckender Platz, an dem ich bin! Fast wie am Mittelmeer, nur schöner.

032  Ich kann mich noch nicht losreißen von dieser Promenade, deshalb steuere ich ein weiteres, ganz in der Nähe gelegenes Café an und lasse mich diesmal mit einem äußerst sehenswerten Eisbecher verwöhnen, der genau so gut schmeckt, wie er aussieht. Traumhaft auch dieser Ort des Verweilens, so nah am Ufer. Eigentlich will ich gar nicht mehr weg von hier!

033  Abends hat sich der Wetterbericht geändert, Starkwind soll aufkommen. Am Kap Arkona werden um die 8 Windstärken erwartet.

Tag 17, Freitag, Sassnitz

034  Wie gestern, so beginne ich auch diesen Morgen mit einem Spiegeleierfrühstück auf der beschatteten Terrasse des nahen „Hafenbahnhof-Cafés“. Die Wetterlage ist für mich nicht richtig glücklich, es ist sogar möglich, dass ich hier für eine ganze Woche eingeweht werden könnte, da nach dem starken Ostwind, der seit gestern bläst, ein ebenso starker Westwind, den ich noch viel weniger brauchen kann, vorausgesagt wird. Was soll ich machen? Es scheint zwar die Sonne, aber schon jetzt sind gute 5 Windstärken aus Nordost in der Luft, und es sollen über Tag noch etliche dazu kommen. Auch vor einer Wellenhöhe von 1,70 m und mehr wird gewarnt. Soll ich dennoch die Fahrt nach West um das Kap Arkona herum riskieren? Das nächste Ausweichziel, etwa 30 Seemeilen entfernt, wäre erst wieder Hiddensee, und wenn ich das nicht anlaufen kann, muss ich noch 20 Seemeilen weiter segeln bis zum Darß. Das klingt nicht richtig gut für einen betagten Einhandsegler wie mich, in einem nur 27 Fuß messenden Boot. Die Alternative wäre, in rigoroser Maschinenfahrt, hart gegen Wind und Wellen, wieder nach Osten zum Fahrwasser "Landtief" zu laufen, um danach auf südlichem Kurs und bei dann halbem Wind in den Greifswalder Bodden zu gelangen, wo nur geringe Wellen zu erwarten sind. Für das Letztere entscheide ich mich.

035  Nach zweieinhalbstündiger Knüppel-Fahrt, die meinem Boot alles abverlangt, und ordentlich durchgeschüttelt von den schräg von vorne anlaufenden Wellen, erreiche ich das Landtief, die schmalen Rinne zwischen Rügen und der Greifswalder Oie. Mit südlichem Kurs läuft das Boot besser, das stark eingereffte Segel zieht und stabilisiert. Bald danach bin ich im Bodden und wundere ich mich, wo die beiden anderen großen Segler geblieben sind, die eben noch in meiner Nähe waren. Die aber haben sich längst unter Landschutz verkrümelt, der eine nach links in Richtung Lubmin, der andere nach rechts in Richtung Mönchgut. Ich aber bin mal wieder ganz allein "auf weiter Flur" und mitten auf einem Bodden, auf dem das Wasser kocht. Kurze, giftige Wellen greifen nach meinem Boot, Schaumkronen überall. Gischt ist in der Luft, die mir jede Sicht nimmt!

036  In d  e  m Moment kommt die WhatsApp von zuhause: "Gut, dass du nicht ausgelaufen bist, hier stürmt es fürchterlich!" Was sage ich denn dazu? Am besten gar nichts!

037  Für mich gibt es jetzt nur noch eins: Augen zu und durch! Und: bloß keinen Fehler machen bei der Navigation! Nur mit Plotterhilfe finde ich mich zurecht, und trotz der Unsichtigkeit, die mich selbst auf kurze Entfernung kein einziges Seezeichen mehr erkennen lässt, gelange ich zielgenau ins Strelasund-Fahrwasser. Als ich die Huk von Palmer Ort hinter mir habe und unter Land bin, wird es besser. Am voraus liegenden Nord-Anleger der Glewitzer Fähre bemerke ich einen Hafen, der weder auf dem Plotter noch auf meinen Karten verzeichnet ist. Als ihn ein Segler, unter Maschine laufend und von Westen kommend, ansteuert und mir so den Weg weist, ist die Entscheidung gefallen. Auch ich steuere ein und mache kurz darauf in einem nagelneuen, aber nur spärlich genutzten Hafen fest. Sogar einen Imbissladen gibt es an der Fährauffahrt, der mich ganz hervorragend mit hausgemachtem Kartoffelsalat und heißer Bockwurst stärken kann. Auch Tische und Stühle stehen bereit, wirkungsvoll vor dem Wind geschützt.

038  Wie ich später höre, ist das stürmische Tief nicht folgenlos über Norddeutschland hinweg gezogen: Es gab 2 Tote an der deutschen Ostseeküste, die beim Baden abgetrieben wurden und ertranken, dazu kenterte ein Katamaran vor Sylt, dessen Besatzung jedoch vom Hubschrauber geborgen werden konnte, und selbst der einstige Bundespräsident Gauck musste aus dem Saaler Bodden gerettet werden.

Tag 18, Sonntag, Glewitz

039  Eine wirkliche Lust zum Auslaufen habe ich nicht. Der Ostwind ist immer noch frisch, aber hier unter Landschutz ist es jetzt fast windstill, und man fühlt sich wie im Paradies.

040  Doch, keine Schwäche, Skipper! Der Wind droht in zwei Tagen auf West zu drehen, und genau dahin führt mich mein Weg. Also los, mit dem jetzt noch vorhandenen Ostwind durch den Strelasund, mindestens bis nach Barhöft!

041  Es folgt ein kaum erwarteter, aber umso herrlicherer Sonntagstörn auf dem Sund - unter blauem Himmel und bei strahlender Sonne, der kühle Ostwind kommt von achtern und schiebt mächtig. Bis zu 6,5 Knoten habe ich auf der Logge, bei meinem Boot, das auf dieser Fahrt nur mit der Genua ausgestattet ist, ist das schon mehr als flott. Eigentlich bin ich der Meinung, ich sei für die Öffnung der Ziegelgraben-Brücke viel zu früh in der Zeit, doch als ich beim Dänholm um die Ecke sehen kann, ist sie bereits geöffnet. Das wird also jetzt nichts mehr, denn bis ich dort bin, wird sie längst geschlossen sein.

042  Doch noch einmal zwei Stunden in der prallen Sonne warten? Nein, nicht mit mir. Ich lege das Ruder nach Steuerbord, laufe ein in den Dänholm-Sund und mache dort im Hafen fest.

043  Dieser Sund zwischen dem Großen und dem Kleinen Dänholm ist eine Welt für sich und eine echte Idylle. Die Ufer von altem Baumbestand gesäumt, Bootsanleger zu beiden Seiten und rechts der große, urige Holzschuppen aus der Kaiserzeit, vor dem ein kleiner, alter Dampfer seinen Ruhestand verbringt. Hier könnte ich bleiben, aber das Boot liegt in der prallen Sonne, für mich heißt das: nichts wie weg hier! Ich verlege das Boot, unter den Bäumen des neuen Liegeplatzes ist es kühl, doch die Schwüle der Luft macht mir auch hier zu schaffen. Dazu hatte ich unterwegs ein Instant-Gericht zu mir genommen, das wohl schon einige Jahre zu lange in der Backskiste lag. Oder ist es das Wetter, das mir auf den Kreislauf geht?

044  Reichlich drömelig schlendere ich durch den Wald des südlichen Teils des Dänholms, dann über die Brücke zum größeren nördlichen, wo der Yachtclub Strelasund beheimatet ist. Nach kurzem Gespräch mit der Hafenmeisterin, die mir aber nicht sagen kann, wie es um meinen momentanen Liegeplatz steht, gehe ich unter die wuchtigen schattenspendenden Bäume und weiter zu jenem Holzbildhauer, mit dem ich schon im Vorjahr im Gespräch gewesen war. Er ist da, ich grüße ihn und bemerke, dass er inzwischen sehr fleißig gewesen ist, denn viele neue Skulpturen stehen dort auf der Lichtung des Ausstellungsplatzes. Seine wahre Werkstatt hat er allerdings in den Räumen des riesigen Bootsschuppens, und dorthin verschwindet er alsbald. Ich aber, immer noch neugierig, spaziere weiter zur Sternschanze, muss aber feststellen, dass es sich hier nur um ehemalige Militärgebäude aus der Kaiserzeit handelt, die danach auch von Reichswehr, Wehrmacht und NVA genutzt worden sind. Jetzt aber sind sie größtenteils verlassen und ganz offensichtlich dem Verfall preisgegeben. Selbst das nicht mehr genutzte Wachgebäude und der stets offenstehende Schlagbaum machen auf mich einen überaus trostlosen Eindruck.

045  Auf dem Rückweg komme ich erneut am Haus des Yachtclubs vorbei, eine Bank im Halbschatten zieht mich förmlich an. Ich lasse mich dort nieder und nach einem Moment der Regeneration zücke ich mein Handy, um die neuesten Benachrichtigungen abzurufen. Doch ohne Nahbrille ist das Vergnügen höchst eingeschränkt. Als ich nach der sehr notwendigen Lesehilfe suche, rutscht mir das Handy von den Knien, fällt jedoch nicht wie sonst üblich auf den Boden, sondern durch ein massives Eisengitter in den tiefen Lichtschacht darunter!

046  Das hat mir aber jetzt gerade noch gefehlt!

047  Der Adrenalinschub lässt nicht lange auf sich warten. Er lässt mich umgehend aktiv werden, denn ohne Handy bin ich „aufgeschmissen“. Keine Kontakte mehr, keine Windprognosen, nichts mehr! Das geht g  a  r nicht!!!

048  Mit einem Ruck die Bank zur Seite gerissen. Aber das Gitter, Marke "Deutsche Wertarbeit", anzuheben ist leider unmöglich, da von unten angekettet. Da bleibt mir jetzt nur noch, mich erneut an die Hafenmeisterin zu wenden! Deren Anruf beim Ehemann, der sich hier mit allem genau auskennt, ist jedoch erfolglos, er ist nicht zu erreichen. Da taucht ein Schlüsselbund auf, doch erst beim dritten Versuch wird auch nur das Schloss zur Außen-Kellertreppe geöffnet. Als ich schon mit dem Schlimmsten rechne, erscheint die Dame mit weiteren Schlüsseln. Tatsächlich, einer passt, die Tür zum Keller kann geöffnet werden.

049  Aber da gibt es noch ein weiteres ein Problem! In der Tat, das einzige Fenster des Raumes liegt knapp hinter einer Batterie von hohen Öltanks, aber ich bin rank genug, mich hindurch zu winden. Das Fenster selbst ist dann kein Hindernis mehr, ich öffne es, wuchte mich in den Lichtschacht und berge das Handy. Nebenbei fällt mir noch eine 20ct-Münze in die Hände.

050  Immerhin komme ich aber mit der Hafenmeisterin doch noch ins Geschäft, ich verlege das Boot nun ein zweites Mal, diesmal zum Club, und sie darf endlich das ersehnte Hafengeld einstreichen. Und noch besser: Die Clubgaststätte hat inzwischen geöffnet. Auch die 20ct-Münze wird gut angelegt, unter anderem mit ihrer Hilfe überwinde ich meine Schwächephase, und zwar mit einem großen Glas Bier und einem perfekten Bauernfrühstück. Das ist die Rettung auf ganzer Linie!
Das Handy hat den Sturz übrigens gut überstanden, es ist kaum mehr ramponiert als zuvor.

Tag 19, Stralsund-Dänholm

051  Um 0745 Uhr laufe ich aus, aber erst um 0830 Uhr passiere ich die Ziegelgraben-Brücke. Es folgt eine ruhige Revierfahrt nach Nord, schon um 1100 Uhr stehe ich westlich von Hiddensee auf tiefem Wasser. Dann kommt das Segel zum Zug, und mit knapp 4 Knoten geht es ganz „sutje“ zum Darß. Um 1700 Uhr bin ich da.

052  Darßer Ort ist ganz offiziell nur ein Nothafen, sogar ein Seenotrettungskreuzer liegt vor Ort. Da passt es ganz gut, dass ich während des Segelns einen Notstand festgestellt habe: Das Achterliek der Genua ist an einer unzugänglichen Stelle ausgerissen. Also: Abtakeln und nachsehen! Ergebnis: Mit Kleben wird das nichts, da muss genäht werden!Der erste Versuch mit Nadel und Faden schlägt fehl, die Nadel bricht ab. Also: Takelgarn und Handahle, welche ich auch nach kurzem Suchen im unübersichtlichen Fundus meines Bootes finde. Dann geht´s Schlag auf Schlag und Stich auf Stich, wie damals auf der GORCH FOCK. Am Ende ist es eine solide Arbeit, und das Segel ist nun solider als je zuvor.

053  So zufrieden ich mit der Arbeit auch bin, so unzufrieden bin ich mit den Darßer Mücken, die mich als Opfer auserkoren haben. Trotz meiner Gegenwehr haben einige der Biester schon zugestochen, es juckt wie verrückt. Gott sei Dank, Soventol-Gel ist an Bord, ein Mittel, das die Schwellungen ich Schach hält und den Juckreiz bekämpft.

054  Abends zieht es mich zum nahen Campingplatz Prerow, vormals eine sozialistische Vorzeige- Errungenschaft für die werktätige Bevölkerung der DDR mit über 3000 Stellplätzen. Und genau so, wie ich es auch in Erinnerung habe, so ist es auch. Der Strand ist sehr schön, die Zelte liegen teilweise recht harmonisch in den Dünen, und die festen Häuser zur Versorgung im Zentrum sind auf neuestem Stand. Hier genehmige ich mir ein Glas Bier nebst Bratwurst. Kauend und schlürfend, aber nicht ohne Interesse betrachte ich das Gewusel um mich herum. Solch eine Art von Massencamping ist sicher nicht jedermanns Sache, aber ich stelle doch fest, dass alle Camper gut gelaunt sind, wenn auch im Einzelfall etwas sehr übergewichtig. Mein Blick geht jedoch ohnehin eher in Richtung der überwiegend gut gewachsenen jungen Damen weiblichen Geschlechts. Da könnte man doch noch einmal 40 Jahre jünger sein!

055  Am Morgen habe ich den Kampf gegen die Mücken verloren. Ich sage nur: Soventol!!!

Tag 20, Darßer Ort

056  Ich will heute weit kommen, bin also schon kurz vor sieben beim Hafenmeister, dem ich den Obolus nicht vorenthalten will. In der Hoffnung, frisches Wasser zu bekommen, habe ich meinen 5 Liter-Kanister dabei. Das Geld nimmt der Vertreter der Obrigkeit gerne, doch mit Wasser kann er nicht dienen. Das bekomme ich aber doch noch, und zwar nebenan auf dem Seenot-Rettungskreuzer. Damit ist der Morgenkaffee gerettet.

057  Nur Minuten danach bin ich in Fahrt. Ich verlasse das so idyllisch aussehende Schnakenloch durch die schmale Baggerrinne und genieße das Bild der Morgensonne, die sich in der absolut unbewegten Wasseroberfläche spiegelt. Ja, morgens um sieben scheint hier die Welt noch in Ordnung zu sein. Da lasse ich gleich wieder das Boot treiben und nehme ein Bad in der recht kalten Ostsee, zur Reinigung als auch zur Belebung. Danach erst wird der frisch angerührte Kaffee geschlürft. Super!

058  Alles könnte gut sein, zöge da nicht im Osten eine Nebelwand auf, die sich rasch verstärkt. Als ich wieder Fahrt aufgenommen habe, hat der Nebel auch das Boot erfasst und ist so dicht, dass es mit der Sicht nach 50 Metern vorbei ist. Das war´s jetzt mit: „Welt in Ordnung“!

059  In vorsichtiger Plotterfahrt steuere ich nach Norden zur Untiefentonne Ost, die ich zu umrunden habe. Laut Plotterbild müsste sie in allernächster Nähe sein, aber zu sehen ist nichts von ihr. Vorsichtig fahre ich weiter, jetzt auf Westkurs auf die Untiefentonne im Westen zu, unter ständigem Gebrauch des Fischfinder-Echolots. Für einen Moment reißt der Nebel auf und ... da habe ich sie im Blick! Die Navigation steht also. Eine Nebelfahrt quer über den Großschifffahrtsweg will ich vermeiden, also Kurs Süd, nach Warnemünde, und mit Minimal- Fahrt, mit gesetzten Positionslaternen, eingeschaltetem UKW, sowie unter steter Abgabe von Nebelsignalen. Ein Entgegenkommer könnte allerdings immer noch ein echtes Problem sein.
Also: Wahrschau! So vergehen die Stunden, bis sich die Sicht geringfügig verbessert.

060  Warnemünde kann nicht mehr weit sein, da kommt mir aus der Nebelwand, seitlich versetzt, eine Segelyacht entgegen, unter rotem Spinnaker. Ich greife zum UKW und rufe auf Kanal 16 an: "Segelyacht mit rotem Segel auf Kurs Nord zum Darß, hier Sportboot SEEKAIBI, bitte kommen!" Tatsächlich meldet sich das Boot. Wir tauschen uns aus, auch in Warnemünde soll die Sicht stark eingeschränkt sein, ich aber berichte von der "pottendicken Suppe" am Darß. Dann ist die Yacht im Nebel wieder verschwunden.

061  Vor Warnemünde sieht es aber doch viel besser aus, das Einfahren und Anlegen im Hafen „Hohe Düne“ ist kein Problem, zumal mir Hilfe gewährt wird. Am späten Nachmittag setze ich mit der Fähre über, im Regen laufe ich durch die Stadt, Einkäufe sind zu erledigen. Ich wundere mich noch, dass die Glocken der Kirche so ausgiebig läuten, da bemerke ich, dass diese geöffnet ist. Ein Orgelkonzert wird angeboten, und spontan entschließe ich mich, dabei zu sein. Ich werde nicht enttäuscht. Erst kurz vor Ladenschluss kann ich meine Einkäufe erledigen, im Regen kehre ich zurück.

Tag 21, Warnemünde

062  Punkt 0930 Uhr ist der starke nächtliche Wind wieder weg. Also: Auslaufen! Ich passiere den Schifffahrtsweg und gehe auf Westkurs, nördlich der Untiefen-Tonne. Die Genua steht und zieht das Boot mit 3 bis 4 Knoten vorwärts. Für mich ausreichend, zumal sich der östliche Himmel sehr verfinstert hat. Das sieht dort sehr nach Unwetter aus, das langsam näher kommt. Ferner Donner ist zu hören. Ich aber bleibe unbehelligt. Heiligendamm, Kühlungsborn-West und Kühlungsborn-Ost ziehen im Süden vorbei. Bei Buk-Spitze ist der Wind weg, jetzt unter Maschine auf Kurs Südwest. Um 1600 Uhr laufe ich in Timmendorf ein, im Westhafen der Insel Poel. Keinen Moment zu früh, denn kurz danach regnet es wie aus Kübeln.

063  Ilona und Jürgen, meine Wismarer Segelfreunde, können mich leider nicht besuchen, sie sind beide verhindert. Anfangs bin ich etwas betrübt, da ich nach diversen Tagen der einsamen Segel-Selbstbespaßung auf Gesellschaft gehofft hatte, aber dann wird überraschend angerufen und für den nächsten Tag ein Treffen in Wismar vereinbart. Es wird ohnehin mal wieder Zeit, dieser bemerkenswert schönen alten Hansestadt einen Besuch abzustatten!

Tag 22, Timmendorf, Poel

064  Ich laufe ganz gemütlich um 1000 Uhr aus, es liegen ja nur 5 Seemeilen vor mir. Unter Segel und mit nur 1,7 Knoten treibt mein Boot in Richtung Fahrwasser. Das Wetter ist schön, die Sonne scheint und das saubere Wasser der Wismar-Bucht lockt, da gibt es nur eins: Ab ins Wasser zum Reinigungs- und Erfrischungsbad. Die Temperatur ist viel wärmer als am Darß, ich mag das angenehme Nass kaum wieder verlassen.

065  Im Fahrwasser ist es vorbei mit der Segelei, der Wind ist komplett eingeschlafen. Maschine an und mit langsamer Fahrt nach Süd, vorbei am Mini-Eiland Walfisch, wo einst, als Wismar in schwedischen Diensten die stärkste Festung Europas war, eine stark befestigte Bastion die Einfahrt schützte. Einige Steine davon sind noch zu sehen.

066  Ich bin da, Jürgen nimmt mich in seinem Clubhafen in Empfang, er hat einen Liegeplatz ganz in der Nähe seines Bootes für mich organisiert. Der obligatorische Begrüßungsschluck erfolgt umgehend auf der BLUE PEARL.. Auf meinen Wunsch durchstreifen wir bald danach die alte Hansestadt, die nicht zu Unrecht ein Weltkulturerbe ist. Die alten Häuser, zum Teil aus der Hansezeit, zum Teil auch aus dem ausgehenden 19. Jahrhundert, sind alle wohlrenoviert und geben der Stadt ein sehenswertes Gesamtbild. Hier zu rasten und sich unter den schützenden Sonnenschirmen zu stärken, ist Touristenpflicht, der auch wir nur zu gerne nachkommen.

067  Als wir um 1815 Uhr zurück sind, ist auch Ilona da. Sie hat sich gut erholt und sieht wieder aus wie das blühende Leben. Morgen soll ihr Geburtstag sein, doch wegen meiner jetzigen Anwesenheit dürfen die Feierlichkeiten schon heute eröffnet werden. Also: Spaziergang durch die Schrebergärten zur nahen Yacht-Club-Gastronomie, auf deren Terrasse ich zu Speis´ und Trank einlade. Der Abend wird danach auf meinem SEEKAIBI unter der Plichtpersenning beschlossen. Das ist nicht so luxuriös wie auf der BLUE PEARL, aber auch schön! Für die mit dem Hang zu unverfälschter Komfortentsagung vielleicht sogar "wildromantisch".

Tag 23, Wismar

068  Das Geburtstagsfrühstück auf der BLUE PEARL ist schön, aber es zieht sich hin, erst um 1100 Uhr kommt mein SEEKAIBI "in die Gänge". Kein Wind, keine Welle, also Fahrt unter Maschine mit 5 Knoten nach Nord. Um 1230 Uhr habe ich das Offentief, den westlichen Eingang zur Wismar-Bucht, hinter mir, Segel hoch, und ein moderater Wind zieht das Boot nach West. Wo will ich eigentlich hin?

069  Soll ich nach Nordwest in Richtung Fehmarn? Oder, wie ursprünglich geplant, in Richtung Travemünde, wo ich dann den Mast legen könnte, um über den Elbe-Lübeck-Kanal in die Elbe zu gehen? Aber die schwarzen Wolken eines Unwetters im Süden halten mich davon ab. Nach Fehmarn will ich trotz des passenden Windes aber auch noch nicht, so entschließe ich mich für Neustadt, das an Steuerbord voraus liegt. Ich segele bis fast bis in den Rundhafen hinein, der mir gleich vorne einen freien Liegeplatz anbietet.

Tag 24, Neustadt/Holstein

070  Nachts fällt mein Handy von der Bank, und nun ist das Ladekabel leider endgültig "im Eimer". Da muss ich doch gleich am frühen Morgen los in die Stadt, um Ersatz zu besorgen. Das ist erstaunlicherweise bereits um 0800 Uhr erledigt, ich bin entsprechend froh gestimmt und so lasse ich mir im nahen Bäcker-Café alle Zeit der Welt, genüsslich den Morgenkaffee einzunehmen. Der anschließende Rundgang durch das hübsche Städtchen, der mich bis zum historischen Kremper Tor führt, ist allerdings nicht ganz kostenfrei, da ich mich zu weiteren Einkäufen hinreißen lasse.

071  Erst mittags laufe ich aus. Der angesagte Nordwind entpuppt sich als Fake - kein Wind, keine Welle. Im Süden sehe ich erneut dunkle Regenwolken, das ist für mich die Entscheidung: Es geht also jetzt endgültig nach Nord, unter Maschine mit 5 Knoten. Gegen 1700 Uhr bin ich im Fehmarnsund, Kurs West. Der aufkommende mäßige Nordwind überredet mich zu einem Segelversuch, der alsbald mangels Luftbewegung wieder abgebrochen werden muss.. Da entscheide ich mich, nach Heiligenhafen einzulaufen. Um 1945 Uhr liegt mein Boot gut vertäut im Yachthafen der dort ansässigen Seglervereinigung.

072  Ich bin ganz lange nicht mehr in Heiligenhafen gewesen, doch wie ich vom Hafenmeister höre, läuft zur Zeit auf dem Marktplatz das traditionelle Weinfest, mit Musik und Tanz. Ein Grund mehr, die Einsamkeit meines Bootes zu verlassen und dorthin zu streben, wo "der Bär tobt". In der Tat, dort ist was los! Ich erlebe eine wahre Menschenmenge, die es sich an den aufgestellten Tischen und Bänken bequem gemacht hat. Speis´ und Trank liefern die Buden rings um den Platz, und vorne lärmt eine Band so intensiv, dass sich diverse Paare (mwd) zur rhythmischen Bewegung animiert fühlen. Selbst einzelne Möwen mischen sich ohne jede Scheu unters Volk, in der Hoffnung, dabei den einen oder anderen Leckerbissen zu erhaschen. Sie vorsätzlich zu füttern ist allerdings verboten, so werde ich von einer älteren, vielleicht aber tatsächlich wohl weit jüngeren, mir gegenüber sitzenden Dame belehrt. Da bleibt mir nichts anderes übrig, als Bratwurst und Brötchen selbst zu essen. Na ja, mit drei frisch gezapften Bieren geht das auch.

Tag 25, Heiligenhafen

073  Das Schießgebiet Putlos-Todendorf hat noch Sommerpause. Da könnte ich doch endlich einmal dem Hafen Lippe einen Besuch abstatten, zumal gerade erst wieder die Zufahrt ausgebaggert wurde. Es sind nur 15 Seemeilen, es weht kein nennenswerter Wind, schon um 1440 Uhr mache ich dort im gar nicht so kleinen Hafen fest.

074  Ich kenne diese zwischen Bundeswehr und Heiligenhafen gelegene Gegend von Hohwacht, wo nämlich außer Gegend wenig Anderes vorhanden ist, ganz gut, auch wenn ich noch nie mit dem Boot hier war. Zu Zeiten des Studiums, also schon diverse Jahrzehnte zurückliegend, hatte ich hier gelegentlich die Möglichkeit gehabt, in einem der in Ufernähe gelegenen Reetdachhäuser einzuhüten, soweit das klinische Studium dieses zuließ. Und danach hatten meine Mutter und meine Großmutter mehrmals hier den Sommerurlaub im Hotel "Genueser Schiff" verbracht, wo ich sie einige Male besuchte. Ja, auf alten Spuren zu wandeln, das ist so ein Hobby von mir. Also, auf an Land, per pedes Apostolorum!

075  Am Deich entlang in Richtung Hohwacht. Das Haus, in dem ich als Student so manche Zeit in Muße, meist aber über den Büchern verbracht hatte, sehe ich gleich. Es scheint noch ganz unverändert zu sein, leider wird es gerade bewohnt, was mich abhält, näher heranzugehen. Aber voraus sind schon die Gebäude des Hotels „Genueser Schiff“ zu sehen, auch sie sehen noch so aus wie früher, sind in bestem Zustand, sind aber jetzt eine exklusive Nobelherberge mit öffentlichem Restaurant. Die auf der Strandwiese zur Ostsee stehenden Strandkörbe, an denen Kellner diversen Geschlechts Kaffee und Kuchen servieren, lassen den Wunsch in mir hochsteigen, gleichfalls dort Platz zu nehmen. Allein, ... ich habe das Geld vergessen!

076  Also, wieder zurück zum Boot. Dann zum Hafenmeister, der plötzlich aufgetaucht ist und die Hand aufhält, danach wieder "en route". Doch, die Mühe lohnt sich! Einerseits erfreut mich nun mein fürsorgliches Handy einmal mehr mit der Meldung, 10 000 Schritte und mehr für mein körperliches Wohlbefinden abgeleistet zu haben, andererseits sind es Kaffee und Kuchen in hohem Maße wert, diese kurzfristig anberaumte, aber, bedingt durch meine Vergesslichkeit, gar nicht so kleine Strecke hinter mich gebracht zu haben.

Tag 26, Lippe/Hohwachter Bucht

077  Eigentlich ist die Luft ziemlich raus. Ich hatte zwar zuhause angekündigt, mindestens 30 Tage unterwegs zu sein, aber der Kreis hat sich nun schon mehr oder weniger geschlossen, und da sind mir verständlicherweise „die Hände gebunden“. Wie das meist so heißt, wenn die Lustlosigkeit Platz greift. Wie ich zudem im Radio höre, hat es ein Problem mit dem Geesthachter Stauwehr gegeben, es musste schnell und völlig überraschend geöffnet werden. Dadurch ist die normalerweise ausreichend tiefe Oberelbe ziemlich leer gelaufen, und nun liegen mehr als 30 Binnenschiffe für längere Zeit auf Grund. Gut, dass ich die Route über Nord genommen habe, auch mein SEEKAIBI befände sich jetzt mit größter Wahrscheinlichkeit dort im Schlick der Elbe!

078  Um 0430 Uhr verlasse ich den Hafen. Draußen empfängt mich eine absolute Windstille. Noch ist es recht dunkel, doch der Morgen graut, ein sehr zögerlicher Sonnenaufgang schafft es kaum durch die Wolken in der Kimm. Die Fahrt geht unbehelligt voran, um 0900 Uhr bin ich in Strande und mache an der Hafen-Tankstelle fest, um Sprit zu bunkern. Danach schiebe ich mein Boot an einen freien Dalben, belege eine Leine und habe jetzt endlich auch die Zeit fürs Frühstück: Spiegeleier mit Speck! Mit frischem Kaffee genossen, ein Gedicht ....

079  Unter Segel lege ich ab und nehme Kurs auf Kiel, um 1100 Uhr mache ich am Wartesteg von Kiel-Holtenau fest. Es ist wieder sehr warm, und das hat mich ermüdet. Ein Spontanschlaf auf der Salonbank wäre nun das Richtige, aber dazu kommt es nicht, denn die Entscheidung, was nun zu machen sei, wird mir abgenommen:

080  Vor der Holtenauer Schleuse herrscht inzwischen heillose Bewegung. Viele Boote haben sich dort angesammelt, da eine Wartung bis eben jegliche Schleusung verhindert hat. Nun soll es aber zügig losgehen. Ich ziehe ich mir schnell noch das Kanal-Ticket aus dem Automaten oberhalb der Pier, lege ab und gelange fast ohne jede Verzögerung, aber als letzter in die Schleuse, fahre unter dem hohen Rumpf eines großen Frachters bis ganz nach vorne und bin deshalb danach als erster draußen auf dem Nord-Ostsee-Kanal. Zwar stört mich gelegentlicher Regen, aber sonst nichts auf der Weiterfahrt nach West.

081  In Rendsburg mache ich Pause und lege an der Spundwand des Kreishafens an. Willy, ein Crewkamerad aus alten Marinezeiten, den ich von unterwegs angerufen habe, erwartet mich bereits und kommt für einen Schluck Aquavit an Bord. Dann verlegen wir den Ort unseres Zusammentreffens in das nahe Eiscafé, in dem das Angebot ungleich höher ist als in meiner Plicht. Nun gibt es frischen Kaffee, Eis in verschiedenen Sorten und Apfelkuchen mit Sahne. Damit hat sich für mich das Abendessen auch schon erledigt.

082  Um 1850 Uhr sagen wir "Tschüss!", Willy wirft die Leinen los und besteigt sein Fahrrad, ich aber lege ab und motore weiter, Kurs West. Um 2110 Uhr und bei einbrechender Dunkelheit bin ich im Vorhafen der Gieselauschleuse und gehe längsseits bei einem englischen Segler.

Tag 27, Gieselauschleuse

083  Weit ist es nicht mehr bis nach Süderstapel. Aber eigentlich will ich erst nach frühestens vier Wochen wieder zuhause sein und deshalb entscheide ich mich dazu, noch einmal eine Nacht in der Eider vor Anker zu liegen, Reinschiff zu machen, Dinge zu klarieren oder zu reparieren, baden zu gehen und die Muße zu haben, beim Durchblättern des Logbuchs die zurückliegende Fahrt noch einmal an mir vorbei ziehen zu lassen. Ohne Zweifel, ich hatte sehr schöne, interessante und glückliche Tage auf See und an Land erlebt, aber was wäre wohl gewesen, wenn sich unterwegs doch ein Anlass zum Tragen eines schwarzen Anzugs ergeben hätte? Aber daran sollte ich keine Gedanken verlieren, denn alles war gut gegangen, wie es besser nicht hätte sein können.